Saturday, December 22, 2007

Vom Prekariat und den Besserverdienenden


Deutschland ist im Aufruhr: die einen wollen Mindestlöhne und die anderen Höchstlöhne. Meist sind diejenigen, die beides wollen oder ablehnen vereint in der ein und der selben Person. Selbst Der Spiegel hat in seiner vorletzten Ausgabe des Jahres dem Gerechtigkeitsempfinden eine ganze Titelstory unterm Weihnachtsbaum gewidmet.

Der Partei- und Fraktionsvorsitzender der FDP, Guido Westerwelle, meinte zum Thema Mindestlöhne in der vergangenen Woche im Deutschen Bundestag:
"Mit diesem Gesetz verfolgte man also das Ziel, deutsche Unternehmen zu schützen, und zwar vorzugsweise vor osteuropäischer Dumpingkonkurrenz. Jetzt verwenden Sie das Entsendegesetz, um einen deutschen Monopolisten vor deutscher Konkurrenz zu schützen, und das zulasten von Zehntausenden Arbeitsplätzen, die dadurch über die Wupper gehen."
(Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 134. Sitzung der 16. Legislaturperiode, S. 14104C)

Wenn der Oppositionschef zu solch drastischen Worten greift, muss etwas los sein mit dem Gerechtigkeitsempfinden in einem Land, welches weltweit als Beispiel für seinen sozialen Ausgleich immer an oberster Stelle genannt wurde. Einerseits kann ein Teil der Arbeitnehmer von seinem regulärem Einkommen nicht mehr existieren und ist auf staatliche Hilfe angewiesen, andererseits finden die Gehälter des obersten Managements immer weniger öffentliche Anerkenntnis, was vielfach auch mit dem Timing zu tun hat.

Die Mindestlohndebatte ist ein klassisches Beispiel für eine fehlgeleitete Diskussion in diesem Land, deren eigentliches Grundproblem im Hickhack des Gezänks der Parteien untergeht. Während die FDP - durchaus konsequent - die Einführung von Mindestlöhnen kategorisch ablehnt und dabei das Entsendegesetz jedoch etwas vergisst, ist die Union noch sehr unentschlossen und lässt sich durch den kleineren Koalitionspartner SPD treiben. Die SPD hat ein Thema gefunden, um wieder Profil zu gewinnen, hier fehlt es jedoch an der strategischen Diskussion. Die Linke ist immer dafür, wenn es gegen die "kapitalistischen Ausbeuter" der Arbeitgeber geht und die Grünen lavieren wie die SPD wieder nach links, ohne ein tragfähiges Arbeitsmarktkonzept zu präsentieren.
Der Diskussion fehlt die Leitlinie über die wahltaktische Manöver hinaus.
Die USA, Frankreich und Grossbritannien haben gezeigt, dass ein Mindestlohn die WIrtschaft nicht hemmt - alle drei grossen Volkswirtschaften sind in ihrer Substanz robust und leistungsstark. Und in der Tat: ein Arbeitnehmer, der voll berufstätig ist und von seinem Einkommen nicht leben kann, verdient des staatlichen Beistandes. In Deutschland galt hier lange Zeit eine laissez faire-Politik, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer darin einig waren, dass eine Wirtschaft nur funktionieren kann, wenn beide Seiten am wirtschaftlichen Erfolg partizipieren. Seit fast sieben Jahren wurde von einigen Seiten dieses gemeinsame Grundverständnis aufgekündigt und Dumpinglöhne durchgesetzt. In deren Ergebnis ist der Staat gezwungen, den Sozialstaat agieren zu lassen. Gewinne werden privatisiert, die Kosten der Arbeit jedoch sozialisiert. Das der Staat durch seine eigene Vergabepolitik von Reinigungs-, Wach- und Postaufträgen nicht ganz unschuldig ist, kann zunächst dahin gestellt werden - ein Versagen der Politik ist es denoch.
Nutzt die Ökonomie die soziale Verantwortung der Gesellschaft jedoch aus, ist der Staat gezwungen, gegenzusteuern. Die Existenz von Mindestlöhnen ist daher nicht da wahre Problem und würde in der Summe auch nur wenige Unternehmen treffen. Mindestlöhne sind eine Folge fehlender Verantwortungsbereitschaft auf Seiten eines kleinen Teil der Unternehmerschaft. Das wahre Problem ist die fehlende Strategie der Politik.
  1. Ist sie für die Einführung von Mindestlöhnen, so kann sie dies unabhängig von Tarifpartnern etablieren. Es kann bei dieser Massnahme nur darum gehen, einen existenzsichernden Lohn zu garantieren. Die Post ist jedoch ein klassisches Beispiel, in dem ein Wettbewerber den Mindestlohn nutzt, um seine Konkurrenz aus dem Rennen zu stechen. Ein Arbeitgeberverband mit nur einem faktischen Arbeitgeber ist kein Arbeitgeberverband, sondern eine Unternehmensabteilung.
    Auch wenig einsichtig ist, warum der Mindestlohn nur für Postbeschäftigte gelten soll, für Reinigungs- und Wachpersonal jedoch nicht. Will man einen Mindestlohn einführen, dann konsequent, flächendeckend und für alle Arbeitsverhältnisse. Daher wäre die Union letztlich strategisch gut beraten, wenn sie der SPD das Heft des Handelns aus der Hand nehmen würde und die Salami-Taktik der Partei des "demokratischen Sozialismus" eine sachgerechte Politik entgegensetzt. Die SPD hätte hier verloren, in einem ihrer wichtigsten politischen Felder.
  2. Die Einführung von flächendeckend gleichen Löhnen hat etwas von der nicht versuchten Quadratur des Kreises. Zuletzt wurde auch durch das Bundesverfassungsgericht anerkannt, das die Lebenshaltungskosten in Deutschland unterschiedlich sind. Während der nun vereinbarte Mindestlohn an der mecklenburgischen Küste ein auskömmliches Leben in bescheidenem Wohlstand garantiert, reicht dieser in München hinten und vorne nicht. Bundeseinheitliche Mindestlöhne machen daher genauso wenig Sinn wie bundeseinheitliche Gehaltstabellen, ohne die regionalen Unterschiede zu gewichten. Eine neue Gerechtigkeitslücke würde mit der Schließung der einen gleich wieder aufgemacht.
    Der Zweck des Mindestlohnes kann nur das Ziel der Existenzsicherung verfolgen. Ist dies jedoch so anerkannt, so muss dies auch die regionalen Unterschiede berücksichtigen. Dies wäre die wahre Aufgabe der Politik, diese zu definieren. Hier scheut sich die Politik - wie auch die öffentlichen Tarifpartner - bislang kategorisch davor.
Neben Mindestlöhnen wird zwischenzeitlich auch über Höchstlöhne in deutschen Unternehmen gesprochen. Bemerkenswert dabei auch von denjenigen, die erst in den vergangenen Monaten - berechtigt oder nicht sei an dieser Stelle einmal dahin gestellt - von der Lohnzurückhaltung verabschiedet haben. Fakt ist jedoch auch, dass die Manager der deutschen Unternehmer immer wieder in ein schiefes Licht rücken durch ein etwas missglücktes Timing. Ein Bahnvorstand, der mit der GDL über Löhne seiner Beschäftigten verhandelt und wohl zu Recht eine 30 prozentige Lohnsteigerung ablehnt, kann die Erzielung eben jener Erhöhung selber nur schwer erklären. Da kommt es dann gar nicht darauf an, dass hier bereits bestehende Vertragsregelungen greifen, wie die Personalchefin Margot Sukale ausführte. Ein Eindruck bleibt hängen und ob diese Gehälter berechtigt sind, spielt im Ergebnis keine Rolle mehr.
Es ist vielfach diese Kombination aus verschiedenen Ereignissen, die die Debatte über Höchst- und Mindestlöhne auslösen. In der Tat problematisch bleiben jedoch Abfindungsregelungen auch für solche Vorstände, die wegen erwiesener Unfähigkeit entlassen wurden oder Gehälter, die in solche Höhen ansteigen, dass sie beim blossen betrachten auch als nicht mehr gerechtfertigt erscheinen. Hier muss jedoch wieder der Managertyp einkehren, der sich als "Firmenpatriarch" im besten Sinne sieht und für den das Wohl des Unternehmens auch vom Wohl der Mitarbeiter abhängt. Die meisten Manager sind hieran interessiert, der Shareholder Value hindert sie jedoch zwischenzeitlich vielfach daran, dies auch umzusetzen. Zu hohe Zielvorgaben machen hier schnell geschaffenes Vertrauen kaputt.
Höchstlöhne bleiben jedoch ebenso wie einheitliche Mindestlöhne in sich ein Unsinn. Die Diskussion darüber wird ein Sturm im Wasserglas bleiben.

Vergütungsstudie 2007 . Vorstandsvergütung und Personalkosten der DAX30-Unternehmen 1987-2007

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