Thursday, November 29, 2007

einestages

Nachdem der Autor auch einen akademisch untermauerten historischen Faible hat, soll an dieser Stelle auch ein Tipp erlaubt sein auf ein Webprojekt von SPIEGEL online:


Die Eigenwerbung
Geschichte wird von Millionen gelebt, aber nur von wenigen aufgeschrieben. einestages will das ändern. Gemeinsam mit Ihnen wollen wir Zeitgeschichte sammeln - und damit ein kollektives Gedächtnis unserer Gesellschaft aufbauen.

Wednesday, November 28, 2007

Der ewige Antisemit


Der Begriff des Antisemitismus ist noch nicht so alt: 1879 wurde er geprägt und als Oberbegriff für alle Formen der Verfolgung von Menschen jüdischen Glaubens genutzt. Den fürchterlichen Höhepunkt der Judenverfolgung erlebte die Welt zweifelsohne zwischen 1933 und 1945 mit einer gezielten Ausrottungsstrategie. Die Welt wollte mit der Gründung des Staates Israel 1948 den Juden der Welt vor diesem Hintergrund eine Heimstatt geben und der neue Staat wurde von seinen Nachbarn von Anbeginn militärisch und politisch bekämpft, von Teilen der arabischen Welt bis heute.

In Deutschland und anderen Teilen der Welt ist der Begriff des Antisemitismus jedoch zwischenzeitlich zu einem Kampfbegriff geworden. Es geht den Nutzern dieses Begriffs dabei weniger um die Frage, ob der jüdische Staat oder jüdische Gemeinschaften existieren sollen. Diese Frage ist längst mit einem klaren JA beantwortet worden und dies nicht nur vor dem Hintergrund multikultureller Gesellschaften mit Menschen aus den verschiedensten Religionen und Kulturkreisen. Bei der Verwendung des Begriffes Antisemitismus geht es vielmehr um die Beurteilung israelischer Regierungspolitik, die für eine faktisch sakrosant ist. Man erinnere sich noch an die Causo Möllemann / Friedmann und Möllemanns Äußerung im ZDF
"daß kaum jemand den Antisemiten, die es in Deutschland leider gibt und die wir bekämpfen müssen, mehr Zulauf verschafft hat als Herr Scharon und in Deutschland ein Herr Friedman mit seiner intoleranten und gehässigen Art."
Möllemann wurde als Antisemit gebrantmarkt und der FDP-Parteivorstand sah sich unter dem Druck der Öffentlichkeit genötigt, eine Erklärung zu Lasten Möllemanns abzugeben. Das es hier auch innerparteiliche Ränkekämpfe zwischen Parteichef Westerwelle und Möllemann gab, sei nur am Rande erwähnt.
Was aber ist dran an den dem antisemitischen Gehalt der Äußerung? Nichts. Denn Möllemann hat nicht eine Religion, sondern die Politik einer Regierung kritisiert. Die Verbindung zur Religion und Shoa wurde von Friedmann hergestellt.


In Zeiten heftiger Kämpfe in Nahost, des Mauerbaus durch Israel um die Westbank und die Abriegelung des Gaza scheint die Antisemitismusdebatte wieder Konjunktur zu haben. Das Internet ist dabei eine hervorragende Plattform, bietet sie doch die Plattform und Anonymität für allerlei krude Vorstellungen. Einer der Protagonisten an dieser Stelle ist ein gewisser Alex Feuerherdt, der unter dem Label "Liza´s Welt" allerlei krude Vorstellungen über den Nahost-Konflikt liefert. In der recht einfachen Vorstellungswelt lässt sich die Ursachenforschung schnell zusammenfassen: Israels Politik ist bare jeder Kritik und in Deutschland regiert vor allem der Antisemitismus.
Wer ist dieser Alex Feuerherdt? Sucht man im Internet, findet man nicht viel, aber die wenigen Brocken reichen, um eine Kurzbiographie zu erstellen: geboren 1969, Buchhändler und in Bonn ansässig. Arbeiten tut er für einen Kölner Sport-Verlag und veröffentlich "Beiträge zur Politik und zum Fussball" in Zeitungen wie Jungle World und Prodomo. Das wars auch schon. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Themen Antisemitismus, Israel und Nahost-Konflikt, deutscher / europäischer Geschichte oder ähnlicher Themen ist nicht bekannt. Daher zurück zu den (vermeintlich) anonymen Veröffentlichungen.
Wird eben jene Regierung Israels - sei diese berechtigt oder nicht - in ihren Handlungsweisen kritisch beurteilt, so gilt der Autor eben jener pauschal als antisemitisch. Allein in den 16 Beiträgen im Mai 2007 auf einer Seite findet sich mehr als 24 mal das Wort "Antisemitismus". Dies ist kein Einzelfall und man braucht auch nur Stichprobenartigen nachzuzählen: im August 2006 waren es in 38 Nennungen in 20 Beiträgen und im Januar 2007 stellten wohl die 117 Nennungen in 15 Beiträgen den einsamen Spitzenwert dar.
Erstaunlich ist, dass selbst in einem Beitrag zu Jürgen Klinsmann in der Zeitschrift Prodomo nicht ohne das Wörtchen Antisemitismus auskommt. Hier reicht ein kurzer Schwenk auf den Irak- und Kosovo-Krieg, um die Leichtigkeit des Seins, die jener Bundestrainer den Deutschen zur Freude der ganzen Welt wieder beigebracht hat. Feuerherdt bleibt dabei jedoch den Beweis für seine Behauptung, Bush und Sharon wurden in eine Reihe mit Adolf Hitler gestellt, ebenso schuldig wie seine sonstigen schlicht falschen Behauptungen.
Dabei wäre ein Blick auf das zweite Thema, welches der Blog als sein Thema ausgibt, durchaus weiter betrachtenswert - und zwar im Rückblick auf die Fussball-Weltmeisterschaften 2006. Es verwundert, wie schnell auch hier der Antisemitismusverdacht ausgesprochen wird, wobei Israel nicht einmal an der WM teilnahm. Ein Zitat:
Es ist ja gar nicht so, dass diese Weltmeisterschaft keinen Spaß machen würde, auch wenn der Genuss durch den schwarz-rot-goldenen Taumel inklusive Volltrottelkostümen etwas getrübt wird. Wenn man etwa das zweifelhafte Vergnügen hat, mit einem Trikot Englands oder der Niederlande in ein deutsches Autokorso zu geraten, weicht der ach so fröhliche Siegesrausch der Fahrzeugbesatzungen schnell mal hasserfüllten Attacken. Das Trikot der israelischen Mannschaft lässt man besser ganz im Schrank, denn „Die spielen doch gar nicht mit!“ wäre gewiss noch der harmloseste Kommentar, den man zu hören bekäme. (23.6.2006)
Der Autor übersieht dabei sehr deutlich, dass dies zwar ein trauriges Verhalten ist, jedoch nicht eines der deutschen Fussballseele allein imanentes. Ähnliche Vorkommnisse ließen sich auch in Großbritannien, Frankreich und wohl auch in Israel selbst feststellen.
Dabei war die Wooge des Nationalgefühls dem Autor Feuerherdt besonders suspekt. Deshalb schreibt der Autor am 13. Juni 2006:
Die nationale Euphorie schlägt sich unübersehbar nieder in der offensiven Beflaggung zahlloser Fenster, Balkons, Autos und Kneipen sowie im Tragen entsprechender Devotionalien; es ist offensichtlich, dass in Bezug auf die Symbolik der postnazistischen deutschen Gesellschaft auch die letzten Hemmschwellen endgültig gefallen sind.
Bloss zeigt sich die Geschichtsblindheit des Autors, waren die "Devotionalien" doch jene der Aufklärung des frühen 19. Jahrhunderts, die mit der Revolution von 1848 und den vorhergehenden Ereignissen -man erinnere sich an das Hambacher Fest - erstmals der deutschen Kleinstatterei den Garaus machen wollten und eine demokratische Verfassung in der Frankfurter Paulskirche erarbeitet haben. Die Nationalsozialisten hatten mit jenen Ideen nichts zu tun und waren daher bestrebt, die Symbole der deutschen Aufklärung möglichst rasch aus der Erinnerungskultur zu eliminieren und durch die Hakenkreuz-Fahne zu ersetzen.

Auch zahlreiche Prominente bleiben vor dem Antisemitismusvorwurf nicht verschohnt.
Am 29. Juli 2007 musste der Dalai Lama herhalten, der einer " gegen die Aufklärung gerichtete Religion einer autoritären Sekte" vorsteht. Die Freundschaft zu dem Bergsteiger Heinrich Harrer, immerhin einer der Lehrer des tibetischen Oberhauptes, macht ihn zum Nazi und auch andere nicht bestreitbare Grotesken sind dem Antisemitismus wie selbstverständlich zuzuordnen.
Am 13. Juli 2007 hatte es den Kultstar der linken Szene, Günter Wallraff erwischt. Seine Lesung von Salman Rushdies "Satanischen Versen", immerhin als Beitrag zur Aufklärung verstanden, mache bei den hinterwäldlerischen Muselmanen schlicht keinen Sinn. Der Schlusssatz: "Da spricht ein Exemplar der geschichtsdeterministischen Linken, die selbst Auschwitz nicht von ihren Überzeugungen abbringen konnte."
Und bereits am 1. Juni 2007 wurde der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, dem Antisemitismus verdächtigt. Das Treffen Pötterings mit dem Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas macht ihn bereits von Haus aus verdächtig. Das er jedoch vor in seiner Rede vor der Knesset nicht allein den Arabern die Schuld an der verfahrenen Situation im Israelisch-palästinensischen Konflikt gab, macht ihn vollkommen zu einem derjenigen, die mit Israel recht wenig am Hut haben. Der Autor suggeriert, auch Pöttering hält es mit den radikalen Islamisten, die Israel eher von der Landkarte weghaben wollen. Ideologie kennt keine Grenzen und bedient sich auch oft unlauterer Mittel, denn ein wirkliches verstehen dessen, was Pöttering gesagt hat, ist nicht zu erkennen.
Irgendwann am 17. Mai 2007 hatte es dann auch medicines sans frontieres erwischt: "Dass die Ärzte ohne Grenzen notorische Israelhasser sind, ist, zugegeben, nichts Neues." Und dies vor allem deshalb, weil sie sich um Tramata-Patienten in den Palästinenser-Gebieten kümmern und einer ihrer Ärzte - wohlgemerkt ohne dass die Organisation ihn unterstützt oder sein Tun gutgeheißen hätte - zum Radikalen wurde und den israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert töten wollte. Die Organisation, einer der renomiertesten NGO's weltweit, macht dies sogleich zum Antisemitenpool.
Jüngst wurde auch Tony Judt als verkappter Antisemit entdeckt. Als Beleg hierfür dient zu Beginn ein Aufsatz des New Yorker Historikers in den Blättern für deutsche und internationale Politik vom Dezember 2003:
Das Problem ist vielmehr, dass dieser Staat ein verspätetes Gebilde ist. Er hat ein typisches separatistisches Projekt des späten 19. Jahrhunderts in eine Welt importiert, die sich weiterentwickelt hat - in eine Welt der Menschenrechte, der offenen Grenzen und des Völkerrechts. Die Idee eines "jüdischen Staates" an sich - in dem Juden und die jüdische Religion exklusive Vorrechte genießen, von denen nichtjüdische Bürger für immer ausgeschlossen sind - hat ihre Wurzeln in einer anderen Epoche und in einer anderen Region. Israel ist, kurz gesagt, ein Anachronismus.
Das Judt seine Argumentation wohlbegründet vor dem Hintergrund der nationalistisch definierten Staatsgründungen nach dem Ersten Weltkrieg, interessiert "Lizza" herzlich wenig und macht Judt zum Kronzeugen gegen den Staat Israel. Natürlich kritisiert Judt zu Recht die einseitige Ausrichtung auf Menschen jüdischen Glaubens, die den Zugang zu höchsten Staatsämtern als Voraussetzung hat. Judt spricht sich aber klar für einen binationalen Staat aus, was "Lizza" und ihr Hilfszeuge Karl Pfeiffer jedoch schlicht unterschlagen. Das Judt nun auch noch den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken der Stadt Bremen erhält, ist dann selbstverständlich eher pietätlos. Feuerherdts Problem: Ein zwischenzetlich zum Standardwerk gewordenes Buch Judt's ("Die Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart") behandelt die Geschichte Europas eben nach 1945 und berücksichtigt nach Ansicht Feuerderdts die Zeit davor zu wenig. Ein Schelm, wer Böses dahinter vermutet.

Die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen, unter anderem mit den vermeintlichen "Antisemiten" und "Israelhassern" Jürgen Trittin oder Gerhard Schröder. Ein Beispiel soll jedoch noch herausgegriffen werden: die Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft. Gegründet, um die berechtigten Ansprüche von Zwangsarbeitern zumindest einigermaßen zu befrieden, hatte sie vor einiger Zeit ihre Arbeit der Geldauszahlung abgeschlossen. Selbst die Stiftung sagt, dass dies Entschädigungen das unermässliche Leid der Zwangsarbeiter nur bedingt würdigen können. Sei mal dahingestellt, dass Feuerherdt Schoa und Zwangsarbeit - die ausgerechnet gerade weniger die Juden Europas getroffen hatte, denn diese wollten die Nazis vernichten anstatt ausbeuten - historisch fehlerhaft gleichsetzt. Aber er sieht unter dem Abschluss der Auszahlung gleichzeitig einen "Paradigmenwechsel" und Schlussstrich, der weder gewollt noch gezogen wurde. Die willkürliche Interpredation an den Tatsachen vorbei zeigt, dass es Feuerherdt nicht um die Sache, sondern um die Verbreitung seiner These geht: Die Deutschen sind antisemitisch und werden es immer bleiben.

Bleibt als erstes Fazit: Feuerherdt reiht Zitate recht wahllos und aus dem Zusammenhang gerissen aneinander. Kriterien sind dabei nicht erkennbar. Um sich dann auch jeglicher Kritik an seiner weder journalistisch noch wissenschaftlich orientierten Werken aussetzen zu müssen, ist die Kommentarfunktion gleich mitgesperrt worden. Die Begründung: "Die Kommentarfunktion habe ich wegen solcher Leute wie dir abgeschaltet, die zu keinem Argument fähig sind und wirklich nur Stuss schreiben." Das Blogs gerade davon leben, übersieht der Autor und scheint sich einer Auseinandersetzung seiner Thesen nicht stellen zu wollen. Das allfällige Impressum verweigert er deswegen ebenso.


Erstaunlich ist dabei, wie leichtfertig jener als Journalist getarnte Verbalextremist historische Tatsachen beiseite schiebt. Eher harmlos ist dabei ein Betrag unter der Überschrift Skandalnormalität. Nicht die Tatsache, das Israel völkerrechtswidrig und gegen alle Aufforderungen der internationalen Gemeinschaften die Stadt der drei Religionen zur Hauptstadt erklärt hat findet Kritik, sondern dass die internationale Gemeinschaft diese Forderung durch die Errichtungen ihrer Botschaften in Tel Aviv untermauert. Der Autor stellt quasi Israel ausserhalb jeglichen internationalen Rechts und zeigt damit sein eigenes Verständnis für Recht und Gesetz.

Die inflationäre Verwendung des Begriffs des Antisemitsmus hat jedoch eine ziemlich einschneidende Folge, die fataler nicht sein könnte: sie verharmlost ihn. Die Rechte hat die Verharmlosung ebenso betrieben, ihre Motive waren offensichtlich und wurden aufgrund ihrer Offensichtlichkeit rasch entlarvt. Was jedoch jener Alex Feuerherdt bezweckt, bleibt zunächst unscheinbar, tituliert er sich doch selber als Freund Israels und der Menschen jüdischen Glaubens.
Was als Gutmensch daherkommt erweist sich beim näheren Hinsehen jedoch als einer der größten Feinde des nahöstlichen Staates. Die Außerkritiknahme von Rechts- und Demokratieverletzungen durch die israelische Regierung trägt dazu bei, bei Muslimen den Eindruck zu verstärken, Israel wird international anders behandelt als ihre eigenen Staaten. So findet die Existenz israelischer Atomwaffen in Dimona - ausserhalb der Kontrolle der IAEA - keine Erwähnung oder wird als vollkommen gerechtfertigt vor der bösen antiisraelischen Welt gesehen - Kritik hieran: Antisemitismus. Die überzogene Reaktion Israels auf Angriffe der libanesischen Hizbollah im vergangenen Jahr: Antisemitismus. Schlimmer noch: "Hass gegen Israel". Israel wird pauschal für gut, der Rest zum Bösen der Welt erklärt ... eine schwarz-weiß-Malerei, wie sie schon einmal zur größten europäischen Tragödie geführt hat und damit Israel mehr Schaden zufügen als jegliche offene kritische Auseinandersetzung mit der Regierungspolitik, wie sie auch anderswo geführt wird.

Nicht der Inhalt, aber die Überschrift von Max Frisch´ Biedermann und Brandstifter passen wohl am besten auf jenen getarnten Verbal-Extremisten. Israel kann sich seine Freinde nicht aussuchen und so wird Alex "Lizza" Feuerherdt wohl weiter als Brandstifter unterwegs sein.

Monday, November 26, 2007

"Wann wir schreiten ...


... Seit an Seit". Dieses alte Arbieterlied wurde nun am vor vier Wochen von der alten SPD wieder hervorgekrahmt und im Vergleich zum "Godesberger Programm" von 1956 ein klassische Rolle rückwärts gemacht. Elf Jahre hat es gedauert und heraus gekommen ist das Bekenntnis zum "demokratischen Sozialismus". Dieses Bekenntnis von vor vier Wochen scheint zwischenzeitlich sehr in zu sein, haben doch auch die Grünen am vergangenen Wochenende die Rolle Links fabriziert und damit gezeigt, dass ihnen doch der Glaube an den Staat wichtiger als der Glaube in den Staat ist.

Man kann über Gerhard Schröder sagen, was man will: Genosse der Bosse, Obermacho, Berufsopportunist. Aber was er gemacht hat, hatte die SPD weg von ihren alten sozialistischen Träumen in die Realität des 21. Jahrhunderts geführt. Der Staat kann nicht alles und muss mehr Eigenvorsorge von seinen Bürgern verlangen. Für diesen schröderschen Kurswechsel steht nicht nur Hartz IV, sondern auch die Riester-Rente, die Förderung des Ehrenamtes und der erste Ansatz zur Föderalismusreform. Die SPD hatte in einem schmerzlichen Lernprozess mit einem hohen personellen Verlust - aus dem sich schließlich auch die Linkspartei speiste - die Anforderungen eines modernen Staatswesens anzunehmen. Schröder fasste dies mit den markigen Worten "Fördern und Fordern" zusammen.
Der frühere Bundeskanzler war mit dieser Forderung nicht beliebt und hatte im Frühjahr 2004 gerade deshalb den Parteivorsitz abgeben müssen. Franz Müntefering, einmal begeisterter Lafontaine-Indianer, war besser in der Partei verankert - Schröder nutzte diese vor allem als Plattform, ohne wirklich in ihr aufgehoben zu sein. Abstriche gab es jedoch nicht. Konsequent waren die hohen Verluste der SPD, hatte sie doch das staatsverwöhnte Stammpublikum vom hochsubventionierten Bergarbeiter bis hin zum Krankenkassen-Patienten schlicht vergrault. Revolutionen sind keine Liebesverhältnisse.
Kaum war Schröder weg, kam der "demokratische Sozialismus" zurück. Müntefering, obwohl zwischenzeitlich strammer Schröderianer, konnte sich dem nicht widersetzen und wurde selbst hinweggefegt von der Parteispitze. Den Ton gaben wieder die Linken in der SPD an, die mit Andrea Nahles eine neue Gallionsfigur gefunden hatten. Der Mindestlohn war wieder in, die Staatsgläubigkeit wieder in die alte Dame SPD zurückgekehrt.

Und die Grünen? Obwohl sie sich selber als "liberale Kraft" sehen, haben sie die Ursprünge des Liberalismus - das Hambacher Fest und die Ideen Friedrich Naumanns - nie wirklich verstanden. Liberalismus will nicht den gefrässigen Staat, sondern den starken Staat - in den Feldern, wo er Aufgaben hat. Ob nun Grundeinkommen oder Grundsicherung, es sind zwei Seiten der selben staatsgläubigen Medaille. Der gesamte Duktus des Parteiprogramms zielt darauf, die Hartz IV-Reformen in einem der wesentlichsten Teile wieder rückgängig zu machen und den Staat mit Mehrkosten in Höhe von 60 Milliarden € zu belasten: die Eigenvorsorge und Eigenversorge des Menschen zu verlangen.
Mit dem Ja zur Grundsicherung ist die Partei der populistischen Versuchung erlegen, die eigene Arbeitsmarktreform schlechtzureden.
Abendzeitung, 26.11.2007
Wenn eine grüne Berufsjugendliche ausruft „Auch der Punker in Kreuzberg hat seine Existenzberechtigung, und sei es als Projektionsfläche der Bourgeoisie.“ zeigt dies, wohin es gehen soll. Wenn jedoch jeder sich als Projektsfläche sieht, bleibt niemand mehr, der diese Projektionsfläche finanziert. Guido Westerwelle, obwohl zwischenzeitlich auch mehr auf Entertainment aus, hatte hierzu einmal den passenden Satz parat: Es ist ihm egal, ob ein Punker arbeitet. Aber dann solle er bitte nicht den Anspruch erheben, dass er vom Staat ausgehalten wird.
Was die Grünen erreichen wollen, bleibt fraglich. Als dritte linke Partei neben SPD und Linkspartei bleibt nicht viel Raum, gerade deshalb hatte sich die Partei in ihrer fast 30jährigen Geschichte vom linksextremen Flügelrand in die Mitte bewegt und achambiert seit einiger Zeit mit der Union für eine Koalition. Das Darmstädter Echo schreibt hierzu jedoch folgerichtig: "Anstatt das liberale Milieu und die Union als Koalitions-Option zu erschließen, gefällt man sich in der Rolle einer grün eingefärbten Lafontaine-Truppe, für die der versorgende Staat das Maß aller Dinge ist." Sicher. Die Parteiführung ist nicht noch einmal abgestraft worden. Aber dies vor allem, weil sie die bereits vorher den liberalen Anspruch aufgegeben und das Programm linken Träumereien angepasst haben. Von einer politischen Führungskraft erwartet man anderes und erst recht, wenn sie den Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung erhebt. Aber:
Die Grünen sind damit in der Opposition nicht nur angekommen. Sie haben sich dort gleich derart behaglich eingerichtet, dass sie auf absehbare Zeit wohl dort bleiben werden. Denn die Festlegung auf eine Grundsicherung ist zugleich die Absage an eine Koalition unter Beteiligung von Union oder FDP. Es bleibt folglich nur noch die Option Rot-Rot-Grün. Ob eine solche Konstellation nun überhaupt noch eine Mehrheit bekommen würde, ist zudem fraglich. Denn die Grünen steuern mit den Beschlüssen von Nürnberg genau dorthin, wo SPD und Linkspartei bereits sind.
Rhein-Neckar-Zeitung, 26.11.2007
Ob dies dem deutschen Parteiensystem insgesamt gut tut, bleibt einmal dahin gestellt.

Eigentlich war man davon ausgegangen, dass der "demokratische Sozialismus" sich mit dem 9. November 1989 auf immer aus der deutschen Politik verabschiedet hatte. Nachdem die PDS zumindest begrifflich das Feld geräumt hatte, holen SPD und Grüne ihn nun wieder heraus. Die Verbindung der Begriffe "Demokratie" und "Sozialismus" ist ein Anachronismus an sich. Beide Parteien haben gezeigt, dass sie es zwischenzeitlich auch wieder sind: sie passen nicht in die Zeit!

Friday, November 23, 2007

Luftfahrt im Aufwind


In München soll sie gebaut werden, Frankfurt plant sie ebenfalls. Nun sieht auch London-Heathrow den Bedarf an einer dritten Start- und Landebahn. Europas größter Flughafen baut damit massiv seine Kapazitäten aus, nachdem er bereits jetzt aus allen Nähten platzt.

London ist das größte Drehkreuz von Europa nach Nordamerika und die dort beheimatete British Airways erwirtschaftet rund 40 Prozent ihres Umsatzes in eben jenem Geschäft. Bereits heute steht Heathrow am Rande seiner Kapazitäten und für ein Flughafen mit - absehbaren - fünf Terminals ist mit lediglich zwei Start- und Landebahnen etwas sehr knapp ausgestattet.
Dabei sieht die Zukunft recht gut aus. Air France / KLM hat bereits angekündigt, einen Teil ihrer Nordamerika-Flüge nach London zu verlagern. Das neue open sky-Abkommen macht es möglich. Auch andere Fluggesellschaften werden folgen und der British Airways damit erheblich Konkurrenz machen.
Die Londoner Flughafen-Landschaft ist dabei eine der interessantesten weltweit: U.S.-amerikanische Großstädte habe höchstens zwei bis drei Flughäfen, Paris weist mit drei Flughäfen einen europäischen Rekord aus. Nur Moskau besitzt vier Flughäfen, die sich untereinander einen harten Wettbewerb liefern. London hingegen hat fünf Flughäfen mit gewaltigen Kapazitäten:
London-Heathrow 67,3 Millionen Passagiere, 1.2 Millionen t Fracht und jährlich über 470.000 Flugbewegungen
London-Gatwick 34 Millionen Passagiere, 200.000 t Fracht und jährlich 255.000 Flugbewegungen
London-Luton 9,5 Millionen Passagiere, 20.000 t Fracht und jährlich 116.000 Flugbewegungen
London-Stansted 23,5 Millionen Passagiere, 230.000 t Fracht und jährlich 190.000 Flugbewegungen
London-City 2,3 Millionen Passagiere und jährlich 80.000 Flugbewegungen
Ein kleiner Vergleich zeigt, die überragende Bedeutung Londons im internationalen Flugverkehr:
Paris CDG 57 Millionen Passagiere, 1.8 Millionen t Fracht und 541.000 Flugbewegungen
Frankfurt 52,8 Millionen Passagiere, 2,0 Millionen t Fracht und 490.000 Flugbewegungen
München 33,5 Millionen Passagiere, 230.000 t Fracht und 411.000 Flugbewegungen.
Sowohl Frankfurt wie München sind derzeit ebenfalls dabei, eine dritte Start- und Landebahn zu konzipieren. Investitionen in den Luftverkehr sind damit hin. Die Golf-Staaten haben diesen Trend erkannt und bauen Flughäfen in Größenordnungen, mit denen europäische Airports auch nach Vollendung der derzeitigen Ausbaupläne nicht mithalten können. Wollen sie jedoch Anschluss halten, müssen sie weiter ihre Kapazitäten ausbauen oder sie werden ihre durchaus vorhandenen Standortvorteile verlieren.
Obwohl dies manchmal bezweifelt wird, sind diese Standortvorteile durchaus vorhanden. Die Investitionen der Golf-Staaten in ihrer Infrastruktur lassen sich nur durch den Flugverkehr zwischen Europa und Asien rechtfertigen. Dubai, Abu Dhabi und Doha fungieren können hier als Drehkreuze fungieren, direkte Fluge von Europa nach Asien sind jedoch immer noch zeit- und kosteneffizienter. Deshalb baut Lufthansa beispielsweise ihr Münchner Drehkreuz immer stärker auch in Richtung Asien aus und nutzt die long range-Destinationen ihrer Star Alliance-Partner zum Sprung auf den Pazifischen Ozean.

Will Europa also mithalten, müssen die Ausbaumaßnahmen flotter vorangehen. Die Airlines haben ihre Hausaufgaben gemacht, wie die Bestellungen auf den letzten Luftfahrtmessen gezeigt haben. Was fehlt, sind die Kapazitäten am Boden.

Sunday, November 18, 2007

Satz der Woche


"Mit Ihnen rede ich doch gar nicht - ich rede mit mir selbst!"

So äußerte sich der Vorsitzende der Streitgewerkschaft GDL, Manfred Schell, in der Talkshow Anne Will. Der Satz war eigentlich auf seinen Konkurrenten, Transnet-Chef Hansen, gemünzt, steht aber doch symptomatisch für den Bahnstreit. Schell hatte sich nämlich bislang beharrlich geweigert, mit Bahnchef Mehdorn überhaupt zu verhandeln. Frei nach dem Motto: ihr legt ein Angebot vor, dass uns passt und dann brauchen wir auch nicht zu verhandeln.

Von Löwen und Lämmern


Ein deutscher General sagte im Ersten Weltkrieg, er habe noch nie so viele Löwen gesehen, die von so erbärmlichen Lämmern befehligt wurden. Es dürfte kein Zufall sein, dass dieses Zitat die Grundlage für den Film mit einer Starbesetzung von Meryl Streep, Robert Redford und Tom Cruise geworden ist und ähnliche wie Full Metal Jacket den Anspruch erheben wird, ein Anti-Kriegsfilm zu sein.

Drei Handlungsstränge: in Washington D.C. erzählt Senator Irving der Journalistin Janine Roth eine neue Strategie zum Sieg in Afghanistan, "koste es, was es wolle". Der Krieg gegen den Terror scheint nahezu alles möglich zu machen: Geld und Material spielen Rolle mehr. Die Presse soll eingespannt werden, "die Lösung" im Kampf gegen den Terror zu verkaufen, die Roth von Anbeginn wie ein Revival des Vietnam-Krieges vorkommt. Irving ist ein aufstrebender republikanischer Senator, dem es vor allem um die Präsidentschaft geht. Die Umfragewerte seiner Partei sind im Keller gelandet und seine Präsidentschaftskandidatur damit bereits gefährdet, bevor sie überhaupt begonnen hat. Exclusive erhält Roth die Informationen über die Offensive am Hindukusch und die scheinbaren Informationen über den Durchmarsch von Aufständischen aus dem Irak durch den Iran nach Afghanistan. Während der Senator erzählt, bekommt Roth bereits Zweifel. Zu sehr erinnert es sie an die Erfolgsmeldungen und Vorbereitungspropaganda von 2003.
In Kalifornien staucht zur gleichen Zeit der Politikprofessor Malley seinen Studenten Todd zusammen, dass dieser - obwohl ein begnadetes Talent - den Vorlesungen fernbleibt. Todd ist frustiert und vertritt die Ansicht, dass jedes Engagement ob in Politik oder im sozialen Leben nutzlos ist und keine Veränderung herbeiführt.
In Afghanistan wieder zu gleichen Zeit startet die Offensive, von der Senator Irving bereits erzählt hat Die GI´s Arian und Ernest erhalten den Auftrag, ein Bergplateau einzunehmen und von dort die Rebellen aus zu beobachten und zu vernichten. Auf dem Weg dahin wird der Hubschrauber angegriffen, beide Fallen verletzt heraus und werden von den Taliban angegriffen. Immer näher kommend hilft ihnen auch er Entsatz nicht mehr und sie lassen sich schließlich wie Helden stehend von den Taliban erschießen.
Die drei Episoden haben scheinbar nichts miteinander zu tun und sind doch auf feine Art miteinander verwoben. Dabei sind Arian und Ernest frühere Studenten von Professor Malley, die sich zum Entsetzen des Professors freiwillig für Afghanistan gemeldet haben und nun ihm Todd gegenüber dafür dienen, dass man etwas erreichen kann - wenn sich Malley auch schuldig füllt für den Weg der beiden Studenten.

Redford thematisiert in seinem Film Fragen rund um die ethische Verantwortung jedes Einzelnen, sowie die Glaubwürdigkeit von Politik und Medien. Im Falle des Senators kommen der Journalistin berechtigte Zweifel an der enthusiastisch vorgetragenen Strategie, denn sie weiß, dass der Senator gerne Profit daraus schlägt. Zu Recht bezweifelt sie die moralischen Grundsätze des Einsatzes und den Zweck der humanitären Hilfe. Cruise und Streep geben sich dabei ein ansehnliches Duell. Cruise passt perfekt in die Rolle des überzeugenden, charismatischen Politikers, der ständig versucht, seine Gesprächspartnerin mit Charme um den Finger zu wickeln. Streep überzeugt eher durch ihre Gestik und Mimik, die mehr spricht als tausend Worte. Auf jede Äußerung des Senators weiß sie gekonnt zu reagieren, ihre Blicke sprechen Bände. Sie muss am Ende den Konflikt mit sich austragen, die Story sofort zu senden und gegen ihre Grundsätze zu verstoßen oder zu schweigen, da sie nicht an das Gute dahinter glaubt. Zu oft hat sie es erlebt, dass die Medien für die Politik missbraucht wurden, nur um Profit zu schlagen. Am Ende unterliegt sie jedoch der Macht von oben, denn sie würde sonst
ihren Job und ihr Ansehen verlieren.
Das Gespräch zwischen Professor und Student dagegen versucht, einen durch die Medien und durch negative Erfahrungen abgestumpften jungen Mann wieder auf den richtigen Weg zu bringen und in das eigene Handeln mehr Vertrauen zu haben. Dr. Malley selbst war es, der die Studenten Arian und Ernest ungewollt dazu gebracht hat, sich als Soldaten zu melden, dabei hatte er ihnen nur vermitteln wollen, sich ein Ziel im Leben zu setzen. Ihr Tod beantwortet im Grunde die berechtigten Zweifel der Journalistin an dem Kriegseinsatz und unterstützen auch Todds Ablehnung jeglichen Engagements. Malley gelingt es jedoch, mit der Geschichte der Soldaten große Bewunderung bei Todd auszulösen und ihn darüber nachdenken zu lassen, seine Fähigkeiten wieder mehr zum Einsatz zu bringen. So hat zumindest diese Geschichte einen positiven Ausgang.
Mit Hilfe der drei Episoden zeigt Redford auf, wie groß die Manipulation der Medien auf jeden Einzelnen ist, wie wenig Wahrheit hinter groß aufgemachten politischen Kampagnen steckt und wie wichtig die eigene Courage ist. Die Bildung und Durchsetzung eigener Ideale und der eigenen Meinung ist ihm wichtig, doch gleichzeitig zeigt das Scheitern der Journalistin auch, wie sehr jeder einzelne im System gefangen ist.
Von Löwen und Lämmern regt zum Nachdenken darüber an, wie man selbst täglich manipuliert wird und wie sich das eigene Handeln auf die Umgebung auswirkt. Ein Film, der durch seine großartig agierenden Darsteller lebt und dessen Wirkung noch lange anhält.

Thursday, November 15, 2007

Merging der Superlative


In den vergangenen Jahren war von den U.S.-amerikanischen Fluggesellschaften vor allem zu lesen, dass sie pleite seien. U.S. Airways, United und Delta waren erst nach langen Umstrukturierungsprozessen wieder in der Lage, aus dem Chapter 11-Prozessen herauszukommen und unter normalen Geschäftsbedingungen zu fliegen.

Als vor mehr als einem halben Jahr der Branchenfünfte U.S. Airways den Branchenzweiten Delta - gerade noch mitten im Umstrukturierungsprozess - übernehmen wollte, war klar, dass der U.S.-Luftverkehrsmarkt nur mit einer Konsolidierung der Airlines überleben könne. Zu lange waren die U.S.-Liniencarrier am Rande der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geflogen und hatten milliardenhohe Verluste in ihren Büchern stehen. Die Zeit nach dem 11. September 2001 zeigte noch einmal, wie anfällig die Luftfahrt für externe Ereignisse ist: Terrorismus, Krieg, SARS ...
Nun soll es also ernst werden und anstatt einer feindlichen Übernahme schließen sich United Airlines und Delta Airlines freiwillig zusammen. Und es soll schnell gehen: "Das Ganze soll abgeschlossen sein, bevor es eine neue Regierung gibt. Deswegen tickt die Uhr." Der dominante Part ist wohl eher United: Sitz in Chicago und der Name bleibt erhalten.

Und was bringt es für Vorteile?
Beide Gesellschaften verfügen über ein globales Streckennetz und sind in unterschiedliche Allianzen eingebunden. Die Vorteile liegen deshalb auch eher auf der technischen Ebene: beide Gesellschaften haben eine ähnliche Flottenpolitik betrieben und bestehen hauptsächlich aus Boeing-Maschinen.
Eine gemeinsame Vermarktungsstrategie, technischer Verbund und eine verbesserte Nutzung der gemeinsamen Abfertigungscenter sind der eigentlich Hintergrund der Fusion. Wie hoch der Merging-Effekt ist, ist nur bedingt klar. Aber er wird erheblich sein.

Über die Airline-Netze wird die Fusion auch Auswirkungen auf die globale Airline-Branche haben. SkyTeam (Delta) wie die StarAlliance (United) haben beide mehrere Partner in den USA und bieten somit ein dichtes Inlandsstreckennetz ihren weltweiten Kunden. Weder Delta noch United haben jedoch in einem der Bündnisse trotz ihrer Größe die Leadership, diese liegt bis heute in Europa. Für welches Netzwerk sich die fusionierte Airline entscheidend, bleibt daher spannend. Und auch das zukünftige Machtgleichgewicht.

Thursday, November 01, 2007

Russlands Verständnis von Demokratie und Wirtschaft

So langsam scheinen die tatsächlichen Gründe heraus zu bekommen, warum Lufthansa Cargo den russischen Luftraum seit Sonntag nicht mehr ansteuern darf: die russische Regierung möchte das LH Cargo-Drehkreuz von Astana in Kasachstan nach Krasnojarsk in Russland verlegt sehen. Was anmutet wie ein schlechter Witz passt in das Konzept. Vor einem Jahr wurde dort ein neues Frachtzentrum aufgebaut, welches bislang noch auf seine Auslastung wartet.
Eigentlich bemüht sich ein Unternehmen in solchen Fällen durch Anreize um neue Kunden. Im Falle der russischen Staatswirtschaft übernimmt dies jedoch der Staat durch die Ausübung von Druck und Zwang. Die Moskauer Regierung schlägt mit einem solchen Vorgehen gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: das Krasnojarsker Frachtzentrum ist ausgelastet, Moskau hat seine Macht demonstriert gegenüber dem Westen und es hat den zentralasiatischen Nachbarn, die von Russland Fürsorge immer weniger wissen wollen, ein Schnippchen geschlagen.


Die russische Regierung übersieht dabei jedoch eine Denken in kurzen Zeitabständen. Lufthansa Cargo könnte nämlich auf die Idee kommen, ihre alten Frachtmaschinen vom Typ Boeing 747 wieder aus der Mottokiste herauszuholen. Diese hatte sie vor einigen Jahren zugunsten der besseren Wartung aufgegeben und dafür die MD-11 F auf allen Strecken in Dienst gestellt. Grundlage dafür waren jedoch weltweit bestehende Umschlagzentren, die nun auf dem Weg nach Asien gefährdet scheinen.
Auch politisch ist das russische Verhalten eher als unklug zu bezeichnen. Wirtschaftspolitisch werden sich die Europäer ohne solche recht unverfrorene Standortpolitik nicht gefallen lassen . Auch wenn Russland dies nur für schwer möglich hält, hat der wichtigste russische Handelspartner die Daumenschrauben in der Hand: selbst für den Fall das die Gazprom ihre Lieferungen einstellt könnte ein zeitweilig höhere Öl- und Gaspreis langfristig sich auszahlen. Denn eine freie Standortwahl ist die Grundlage jeder globalisierten Wirtschaft.


Etwas weniger Aufmerksamkeit erntet dafür derzeit die Vorbereitung der russischen Präsidentschaftswahlen im Dezember. Die "lupenreine Demokratie" (Gerhard Schröder) hat zwischenzeitlich etwas gegen Wahlbeobachter von außen. Im weltgrößten Flächenstaat sollen gerade einmal 400 Wahlbeobachter dafür sorgen, dass die Wahlen effektiv beobachtet werden. Der Europarat könnte ebensogut seine Wahlbeobachter abziehen, denn bringen werden sie nichts.
Dabei sind bereits im Vorfeld die Wahlen so positioniert, dass ein freier Urnengang alles andere als wahrscheinlich ist. Die Einschüchterung der Opposition ist in Putins Autokratie zum Alltag geworden.
War Boris Jelzin zwar ein teilweise unberechenbarer Politiker, so ist Wladimir Putins Berechenbarkeit allzug furchteinflössend. In den acht Regierungsjahren hat er Russland fast dorthin geführt, wo es 1990 hergekommen ist: in eine Diktatur, wenn auch mit westlichem Antlitz.