Monday, May 29, 2006

Liberal heißt auch kritisch sein


Es ist schon erstaunlich, wie schnell sich die Argumentation an dieser Stelle als richtig heraustellt. Erst vor wenigen Tagen hatte ich auf "Expertentum" von Abgeordnetinnen der liberalen Fraktion hingewiesen. Das dies kein Einzelfall ist und der wohl nicht mehr ganz so liberalen FDP doch der liberale programmatische fundierte Grundton abhanden gekommen ist, hat sich nun sehr rasch gezeigt. Die Entertainment-Oppositionspartei des Entertainment-Oppositionsführers hat gezeigt, dass sie auch eine Entertainment-Jugendorganisation besitzt. Liberale Werte bleiben da manchmal auf der Strecke.

An dieser Stelle muss man sich die Worte aus einem Blog auf der Zunge zergehen lassen:
Was eint die Liberalen und Libertären Blogger, die ich in meiner Blogroll verlinke? Das Bekenntnis zur Marktwirtschaft, der Ruf nach einem schlanken Staat, ein fortschrittliches Gesellschaftsbild und die Würde des Menschen als Leitmotiv ihres politischen Denkens und Handelns. Aus den letztgenannten beiden Punkten leitet sich wiederum – notwendigerweise, wie ich behaupte - eine Solidarität mit Israel und den Vereinigten Staaten im Kampf gegen Islamofaschisten und Diktatoren aller Couleur ab. Diese als „prowestlich“ zu bezeichnende Haltung hat innerhalb der Blogosphäre zu einer relativ engen Verbindung zwischen Liberalen und Konservativen Bloggern geführt.


Da gibt es eine Partei, die einmal liberale Werte vertreten hat und die für die Außenpolitik mit Hans-Dietrich Genscher, Klaus Kinkel und Walter Scheel die besten deutschen Außenminister der Nachkriegszeit, deren Ursprünge mit Gustav Stresemann den wichtigsten Außenminister der Weimarer Republik hervorgebracht hat. Diese Partei hat so hervorragende Denke wie Ralf Dahrendorf hervorgebracht. Und dann wird ein Bild eines unkritischen und unter allen Umständen Israel bejubelnden, schwarz-weiß malenden Politikverständnis aus dieser Partei heraus propagiert.
Solidarität mit Israel ist eine Selbstverständlichkeit, wie mit jedem anderen Land auch. Das Existenzrecht Israels ist unbestreitbar und kann auch von niemand in Frage gestellt werden. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass Israels Staatsspitze - und auch Ariel Sharon - auf massivste Weise gegen internationale Grundsätze verstoßen haben. Staatsterrorismus, Kriegsführung gegen Unschuldige, Sippenhaft waren zu keiner Zeit Instrumente, für der Liberalismus eingetreten ist. Genscher hat nicht umsonst in seinen Memoiren zur Situation 1990/91 geschrieben:
Wir Deutsche trugen gerade für die Sicherheit Israels eine besondere Verantwortung. Dort wurden verständliche Forderungen nach einem Gegenschlag zur Zerstörung ... laut, aber die Regierung in Jerusalem ließ sich nicht provozieren. Diese verantwortungsbemußte, außerordentlich beherrschte Einstellung der israelischen Führung und Bevölkerung verdiente unser aller Respekt ...


Was damals richtig war, kann heute nicht falsch sein. Die "Freiheit für Einsteiger" beginnt damit genau dort, wo die Freiheit anderer aufhört. Freiheit ist hier weit gefasst und umfasst zu förderst die Freiheit zu Leben und die Freiheit einer rechtsstaatlichen Aufarbeitung von Attentaten. Dies heißt, dass liberale Werte auch für Israel gelten. Israel kann und darf keine unkritische Haltung erwarten, egal von wem und egal zu welcher Zeit.
Und deshalb ist die Gleichsetzerei dieses vermeintlich liberalen Bloggers auch gefährlich. Sie ist zudem sachlich falsch, da gerade in der Israel-Politik zwischen allen demokratischen Parteien und der Zivilgesellschaft eine überwältigende Einigkeit bestand und besteht und kritische Anmerkungen nichts mit einer vermeintlich "linken Medienlandschaft" zu tun hat. Selbst wenn der Außenminister Joseph Fischer nicht der beste war, hier hat er einen innerdeutschen Konsens vertreten. Auch die gut-bürgerliche Frankfurter Allgemeine Zeitung jubelt Israel nicht hoch, sondern stellt in kritischer Distanz durchaus die Punkte heraus, die die israelische Politik angreifbar machen.
Es scheint jedoch ein Reflex von vermeintlich liberalen Politikern zu sein, alles sofort mit "links" zu behaften, was ihnen in ihrer unreflektierten Haltung nicht ins Konzept passt.
Schade um die Partei ...

Thursday, May 25, 2006

Die Würde des Menschen ist unser Maßstab ...


Das Motto des diesjährigen DGB-Bundeskongresses könnte fast dem Grundgesetz entnommen sein. Und wie jedes Mal defilieren alle wichtigen Partei- oder Fraktionsvorsitzenden auf, um dem DGB ihre "Ehre" zu erweisen.

Angela Merkel ist nicht nur CDU-Bundesvorsitzende, sondern seit November letzten Jahres auch Bundeskanzlerin. Und so kam sie frisch aus China zurück und musste die pöpelnden Massen der DGB-Basis übertönen. Scheinbar sind die Gewerkschaften nicht mehr zu einer ordentlichen Auseinandersetzung in der Lage, sondern lassen anders lautende Meinungen am liebsten gar nicht mehr zu Wort kommen. Angela Merkel rief dann auch gleich nochmals einen "Sturm des Protestes" auf sich, als sie Wahrheiten verkündetete:

Einen einheitlichen, flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von 7,50 Euro halte ich nicht für richtig im Blick auf die Frage, haben wir mehr Arbeitsplätze oder haben wir weniger Arbeitsplätze. Ich finde, es gehört zur Offenheit, dass wir uns das hier sagen. Gleichzeitig sage ich auch: Es dürfen keine sittenwidrigen Löhne gezahlt werden. Auch das ist geregelt, und darauf muss aufgepasst werden.

Nachdem sich der Sturm der Entrüstung gelegt hatte, trat dann auch Gewerkschaftsoberboss Michael Sommer ans Rednerpult und reagierte recht schnell auf jene Passage Angela Merkels. Seine Reaktion: " Den Beweis gibt es nicht."
Aber wo ist der Beweis, dass Mindestlöhne Arbeit schafft oder Arbeit erhält. Den lassen die Gewerkschaften schlicht weg. Es ist momentan dann schon ein abenteuerlicher Kurs, den Gewerkschaften fahren mit überzogenen Lohnforderungen und Arbeitszeitverkürzungen, Kritik an den Hartz IV-Reformen, Veränderungen im Rentengefüge und ähnliches. Dies kann man nicht einmal mehr Besitzstandswahrung nennen, sondern eher die Ignorierung von Realitäten.

Wie realitätsfern Sommer und "Kollegen" sind, zeigt sich dann am Folgetag. Eine Entscheidung müsse bis zum Herbst her, vermeldet der Spiegel ONLINE, ist die Forderung. Und wenn "Wenn Merkel sagt, 7,50 Euroo sind mit ihr nicht, dann machen wir eben 7,55 Euro." Das nennt man eigentlich eine klassische Realitätsverweigerung.
Sommer präsentierte zudem ein Gruselkabinett einer globalen Wirtschaft und gleichzeitig eine Neuauflage alter Neiddebatten. So werden Aktien-Options-Programme pauschal als negativ und nur am kurzfristigen Unternehmenserfolg verdammt. Und an sämtlichen Unternehmensproblemen sind die "Shareholder-Value-Vorstellungen anglo-amerikanischer Ratingsagenturen" schuld. Wer es nicht merkt: solche Worte könnten auch als rassistisch ausgelegt werden, wenn ein strenger Maßstab angelegt würde.
Sommer hat damit gezeigt, dass die deutschen Gewerkschaften zu den ewig gestrigen zählen. Sie haben keinen Sinn für Moderne und sind in alten klassenkämpferischen Zeiten stehen geblieben. Sie wünsch sich alte Kuschelwelten zurück, in der der Staat der allgütige Vater ist und Unternehmen sich dem staatlichen Gängelband unterzordnen haben.

Frau Merkel hat in ihrer Rede eine Forderung enthalten: "Ich will starke Gewerkschaften!"
Sie hat recht damit, da sie Gewerkschaften meint auf der Höhe der Zeit ohne Realitätsverweigerung. Auch wenn sie es noch nicht gemerkt haben sind die Zeiten der Sommers, Peters und Bsirskes jedoch vorbei und ihre dinosaurierhaften Organisationen werden auch noch die restlichen Mitglieder verlieren.

Tuesday, May 23, 2006

Problematisches Parlamentsverständnis


Es ist zwischenzeitlich vollkommen unerheblich, welche der Fraktionen im Bundestag herausgegriffen und welches Thema herangezogen wird. Alle scheint ein Verhältnis zu plagen wo früher Selbstbewußtsein gegenüber den Regierenden herrschte.

Wahllos sei daher der Antrag 16/1421 herausgegriffen. Dort heißt es nach viel inhaltlicher Darstellung im Antragsteil schließlich:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf ... einen Gesetzentwurf vorzulegen, ...

Nach dem allseitigen Parlamentsverständnis ist es quasi die Königsdisziplin der Parlamentarier, Gesetze zu beantragen und beschließen. Daneben kommt es noch zur Regierungskontrolle, die eigentlich auch im Gesetzgebungsverfahren eine Rolle mit spielt. Die Väter (davon kann in diesem Fall nur gesprochen werden) der U.S.-Verfassung haben deshalb der Regierung nicht einmal ein Antragsrecht im Senate und House of Representatives eingeräumt. In Deutschland ist dies anders und dies ist Tradition so und ansich auch nicht schlimm.
Allerdings stellt sich doch beim Lesen solcher Anträger auf gravierende Weise die Frage, wieso die Regierung den Abgeordneten ein Gesetz vorlegen soll, was diese auch selber formulieren können. An fachlicher Fundierung fehlt es schließlich nicht - sind sie sich ihrer eigenen Qualifikation vielleicht nicht wirklich ganz sicher, steht ein gut etablierter Wissenschaftlicher Dienst beratend zur Seite.

Es scheint daher wohl in den deutschen Parlamenten eine gewisse Obrigkeitskultur ausgebrochen zu sein. Das frühere Selbstbewußtsein, was vielleicht heute am ehesten noch Christian Ströbele von den Grünen vertritt, die Liste der früher so agierenden Vollblut-Parlamentarier jedoch wesentlich länger ist, scheint verschwunden zu sein.
Man kann nur hoffen, dass die Parlamentarier in Berlin und anderen Landen wieder dazu zurückfinden, Gesetze zu gestalten und nicht abzuwinken. Und das die Zeit farbloser und inhaltsleerer Politik vorübergeht.

Sunday, May 21, 2006

Wir sind doch kein "Grand Prix" ...

Letztes Jahr sind wir Papst geworden, Deutschland waren wir bereits. Und jetzt wollten wir auch noch "Mister Grand Prix Eurovision de la Chanson" werden. Das wurde jedoch (wieder mal) nichts. Den Wettbewerb gewannen in diesem Jahr die Finnen mit einem etwas eigenartigen Bühnengeschmack, der stark an das Klingonenreich in Star Treck erinnert.


Aber wir haben ja noch die Chance, Fußball-Weltmeister zu werden ... das Chaos startet in wenigen Tagen.

Sunday, May 14, 2006

Teflon: Nichts bleibt haften


Bislang galt die Bezeichnung Teflon-Politik eigentlich für die FDP. An ihr blieb seit 1998 nichts mehr haften. Seit dem vergangenen Herbst gilt dies nun auch für die SPD. Während dies bei der FDP jedoch vor allem programmatisch gemeint war, gilt die für die SPD personell.

Im Oktober letzten Jahres hatte Andrea Nahles noch dafür gesorgt, dass Franz Müntefering als Parteivorsitzender zurückgetreten war. Nun - diesmal ist Andrea Nahles nicht die Schuldige - wählt die Partei einen neuen Vorsitzenden. Dennoch fällt ein Interview auf, welches Andrea Nahles, immerhin hat sie die Jusos einmal vor ihrer Bedeutungslosigkeit bewahrt, im Tagesspiegel am 14. Mai 2006 gegeben hat:

Tagesspiegel: Frau Nahles, fühlen Sie sich eigentlich wohl als Störenfrieda der SPD?
Andrea Nahles
: Ich sehe mich nicht als Störfaktor und schon gar nicht als Störenfrieda, sondern ich nehme meine Aufgabe wahr: Ich vertrete den linken Parteiflügel und nicht selten auch einen guten Teil der Basis …
Tagesspiegel
: … und zwar in einer Weise, die vielen in der SPD ziemlich auf die Nerven geht.

Bleibt an der SPD momentan also kein Vorsitzender haften, so hofft Andrea Nahles doch, dass auch der Königsmord an ihr nicht haften bleibt.

Saturday, May 13, 2006

Nichts neues aus der Entertainment-Ecke


Ganz Deutschland wird von einer großen Koalition beherrscht. Ganz Deutschland? Nein, in der Berliner Reinhardstraße verteidigt ein kleines liberales Dorf die Freiheit

Guido Westerwelle bekannte sich, dass der Vergleich der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wenige Tage vor dem Rostocker Parteitag im gefiel. Als Chef einer Entertainment-Opposition ist der Vergleich von David gegen Golliath gut zu verkaufen. Inhalt steht dahinter selbst noch nicht.

Viel ist der liberale Shooting Star dafür gerügt worden, dass er nach der Bundestagswahl Wolfgang Gerhardt auf das Altenteil abgeschoben hat und auch den Fraktionsvorsitz übernehmen wollte. In einem politischen System wie dem deutschen ist dies jedoch so kritikwürdig wiederum nicht. Nicht nur Angela Merkel hat dies drei Jahre zuvor getan, sondern in der Geschichte unter anderem auch Rudolf Scharping. Erstere wurde wenig später erste deutsche Bundeskanzlerin und übt dieses Amt seit einem halben Jahr mit einigem Glück erfolgreich aus. Letzterer wurde schließlich ebenso beiseite geschoben. Guido Westerwelle hatte also bei seinem ersten Auftritt als Partei- und Fraktionsvorsitzender zwei Pole vor Augen, zwischen denen sich seine Zukunft abspielen wird.
Die Rede wurde daher durchaus mit einiger Beachtung erwartet. Kommt etwas neues? Man kann es gleich sagen: die Rede brachte nichts neues. Seit der Verabschiedung der Liberalen Grundsätze 1997 in Wiesbaden ist Guido Westerwelle nicht nur programmatisch stehen geblieben, sondern auch in seinen rhetorischen Versatzstücken. Fragen der Steuersenkung, der Entbürokratisierung der Wirtschaft, des Sozialstaates, der bürgerlichen Freiheiten oder Europas liegen seit her ziemlich brach und harren auf eine inhaltliche Ausgestaltung und Weiterentwicklung. Selbst das Leitthema des Parteitag, die Umweltpolitik, kann als alte Kamelle beschrieben werden. Denn was die Partei hier verkauft ist im Kern bereits seit Jahren Programmatik des liberalen Jugendverbandes.

In den vergangenen zehn Jahren ist jedoch jede Menge passiert: der Sozialstaat wurde umgebaut, Bürokratieabbau betrieben, der 11. September 2001 hat massive Veränderungen in der Sicherheits- und Bürgerrechtsarchitektur hervorgebracht und die Rolle Deutschlands im internationalen Bereich hat sich grundlegend gewandelt. Die Wiesbadener Grundsätze können von der Natur der Sache als langfristig angelegtes Grundsatzprogramm keine tagesaktuelle Ausgestaltung geben und deshalb wäre es erforderlich, dass die Programmatik der FDP weiter entwickelt wird.
Bereits Westerwelles Reden sind jedoch austauschbar: Hast Du eine gehört, hast Du alle gehört. Mal fließt eine Annektote neu mit ein und eine andere verschwindet. Bei der heutigen Rede war dies:
Wenn man Frau von der Leyen reden hört, hat man den Eindruck, dass der Bundesadler demnächst durch den Storch ersetzt werden soll.

Inhaltlich bleibt Westerwelle jedoch im Wagen. Zwar werden die Steuererhöhungspläne kritisiert, aber es fehlt an einem umfassenden Konzept, wie die Staatsausgaben gesenkt werden sollen. Zwar wird die fehlende Gesundheitsreform kritisiert, aber im Zweifel verweigert sich die "liberale" Führung bei Einschnitten für die Apotheker und hat auch kein nachvollziehbares Konzept einer Gesundheitsreform. Zwar wird der "Bildungsnotstand" kritisiert, aber wirkliche Autonomie der Bundesländer will man auch nicht zulassen.

Es wäre an der Zeit, dass eine neue programmatische Diskussion die FDP erfasst. Ob dies mit oder ohne Westerwelle geschieht, ist erst einmal zweitrangig. Den Kern des Problems hat eine andere große deutsche Tageszeitung aus München treffend vor Jahren beschrieben:
In der FDP-Führung, die wegen ihres geringen Personals nun schon seit Jahren sehr eng aufeinander sitzt, ist ja inzwischen jeder mit jedem verfeindet, hat fast jeder mit einem anderen schlechte Erfahrungen gemacht - Lambsdorff mit Genscher, Schwaetzer mit Kinkel, alle mit Möllemann, Möllemann mit allen.

Der Kreis ist nicht mehr der selbe. Westerwelle hat zwar damals - als Generalsekretär - schon mitgemischt hat, war aber noch nicht groß genug. Übrig geblieben ist er als Einzigster, der Kern des Problems des mangelnden personellen Angebots ist jedoch geblieben. Aber Westerwelle selbst hat sich gewandelt. Früher war er einmal ein grandioser Rhetoriker und und glänzender Programmatiker. Heute ist er nur noch ein Rhetoriker, der sich aus der eigenen Mottenkiste bedient und dessen Partei das Entertainment so verinnerlicht hat, dass programmtisch neues nicht mehr hochkommt.

Hier hat die FDP sich in ihrer Opposition nicht personell und inhaltlich erneuert, sondern ist in alt Bekanntem und Veraltetem stehen geblieben. Und deshalb wäre es Zeit, dass nicht mehr Gudio gegen den Rest der Welt kämpft, sondern tragfähige Antworten für die Welt findet. Nicht als One Man Show, sondern als Diskussionsleiter.

Saturday, May 06, 2006

Jamaica in Frankfurt


Vor einem halben Jahr war sie noch gescheitert, in Frankfurt / Main wird sie jetzt Wirklichkeit: die Jamaica-Koalition. Auch wenn das Bündnis offiziell nur zwischen CDU und Grünen besteht, ist die FDP mit im Boot. Sie beansprucht einen Dezernenten für den Gefallen, schwarz-grün bei der Mehrheitsbeschaffung zu unterstützen. Für die kleine Entertainment-Partei ist dies ein gefährliches Spiel, denn ohne mitentscheiden zu können wird sie für die Politik der Koalition mit haftbar gemacht.

Und eigentlich stellt sich die Frage, ob die Koalition eine Koalition des Fortschritts ist. Zwar wird der Gewerbesteuerhebesatz gesenkt, wichtige Infrastruktur-Projekte wie der Ausbau des Frankfurter Flughafen finden jedoch ohne die Frankfurter Stadtpolitik statt. Hier hat sich die Koalition ein Schweigegelübte auferlegt. Bauprojekte werden behindert, Privatisierung städtischen Eigentums wird ausgeschlossen und der städtische Wasserkopf erweitert. Obwohl die Stadt hochverschuldet ist, sollte man eigentlich meinen, diese Zukunftsprojekte wären von zentraler Bedeutung für Stadt - die neue Stadtpolitik meint dies offenbar nicht.

Friday, May 05, 2006

Abgeordnetes Expertentum


Es gibt im Berliner Parteien kleine und grosse Fraktionen. Unter ihnen ist auch eine Fraktion, die in der Wahrnehmung doch eher als politisch unscheinbar gilt und vielmehr im Entertainment verankert scheint. Dem Zufall des Wählers Entscheidung getrotzt ist es, dass sie derzeit gerade den Oppositionsführer stellt. Es gab also schon bessere Zeiten für die Republik.

Eines ihrer Mitglieder zeigt nun auch wieder sehr deutlich, dass die Regierungsbank auch nicht der wirklich geeignete Ort für diese unscheinbare Entertainment-Opposition ist. Hier wollte es eher der Zufall als der Wähler, dass sie Mitglied des Bundestages wurde und nachdem 2002 Werner Hoyer als letzter ernstzunehmender Außenpolitiker übrigblieb (weil wohl eher schlecht für Entertainment geeignet) übernahm die fünfte Garnitur das Feld der Außenpolitik. Allerdings sind diese dann gleich auch Experten nicht nur für ein Gebiet, sondern mindestens für zwei: Japan und Lateinamerika, aber wohl auch für China und Indien wie der Lebenslauf suggeriert. Eigentlich müsste sie aber Weltexpertin genannt werden, denn schließlich kennt sie sich in Afrika ebenso gut aus.
Dieses Expertenwissen unterstreicht jene Abgeordnete dann gleich glanzvoll: da wird der "jüngste Linksruck" Boliviens am 2. Mai 2006 kritisiert, der "Linksruck in Peru" setzt am 10. April 2006 die Entwicklung im "Superwahljahr 2006" von Lateinamerika fort und es ist eigentlich schon ein Wunder, dass am 14. März 2006 die "Politik der harten Hand gegen die linken FARC-Rebellen" nicht auch den "Linksruck" auf einem ganzen Kontinent verstärkt. Man möge von Glück reden, dass Japan nur eine Regierung hat - sonst würde auch dort die Links-Bewegung auf dem Vormarsch sein.

Von einem Experten darf man viel erwarten, vor allem eine sachgerechte Auseinandersetzung und keine ideologischen Reflexe auf andere politische Vorstellungen. Die renomierte Zeitschrift Internationale Politik ist in ihrer jüngste Ausgabe nämlich auf genaue jene Sterotype ausführlich eingegangen. Sie legt dort detailliert und kenntnisreich dar, dass der äußerliche Schein einer gleichgerichteten linksorientierten Politik in Südamerika nicht haltbar ist. Die Staatschefs handeln dann doch eher pragmatisch in - teilweise wohl auch nur angenommenen - Interesse ihrer Länder. Lula da Silva in Brasilien, Michellé Bachelet in Chile und andere finden in ihrer Politik vielmehr Zustimmung der Unternehmerschaft, obwohl sie vor ihren Wahlen nach europäischen Reflexmustern linken Parteien angehört haben und weiter angehören.
Und Evo Morales in Kolumbien ist nun alles andere als ein linker Politiker, wie die Lateinamerika-"Expertin" der FDP-Bundestagsfraktion zu verkünden meint zu müssen. Auch wenn die Bewegung den Sozialismus im Namen trägt, ist sie ein buntes Bündnis sozialer Bewegungen ohne weltanschaulich definierte Ausrichtung. Als Indio-Führer geht es ihm um zentrale Fragen des sozialen Ausgleichs, der bisher in Bolovien nicht stattfand. Dies hat auch den Grund, dass die reichen Erdgasvorkommen des Landes vor allem von ausländischen Gesellschaften ausgebeutet wurden und die Gewinne ins Ausland transferiert wurden. In dem bitterarmen Land blieb eher wenig zurück - auch wenn die Korruption eingerechnet wird. Die Expertin der FDP-Bundestagsfraktion irrt also mit ihrer wohl eher dem europäischen ideologischen Denkmuster entstammenden Vorstellung, dass die Verstaatlichung der Erdgasfelder dem Land schadet. Morales mag in europäischen Augen kein williger Vollstrecker sein, ob die Verstaatlichung dem Land schadet wird sich eher zeigen. Geht Morales nämlich die Korruption an und investiert das gewonnene Geld in eine wirksame Inlandsentwicklung, tritt eher das Gegenteil ein. Wären die Verträge der Vergangenheit nicht so einseitig zu Lasten Boliviens geschlossen worden, wäre es jetzt auch nicht zur Verstaatlichung gekommen. Insofern tragen die Unternehmen, die sich jetzt beklagen, ihren Anteil an der katrastrophalen bolivianischen Entwicklung.
Es ist also weniger die Frage, ob Außenminister Steinmeier sein Lateinamerika-Politik in einen europäischen Kontext einbettet, sondern ob die selbsternannte Expertin nicht zunächst einmal ihr Expertenwissen auffrischt und den ideologischen Mantel abstreift. Ist dies Geschehen, würde ein Lateinamerika-Konzept der FDP-Bundestagsfraktion vielleicht auch zu einem tragfähigen Ergebnis kommen. In einer Partei, die fast drei Jahrzehnte mit Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel die Außenminister stellte, ein trauriges Ergebnis. Aber der Entertainment-Klamauk jener Partei folgt die programmatische Schwachstelle wohl auf dem Fuße.

Übrigens: Betrachtet man die Webpräsenz der Expertin vermisst man das Expertenwissen ziemlich gewaltig. Dieses wird dort ganz unter den Teppich gekehrt und die erste Bundestagsrede gepriesen. Thema: Scoring und Verbraucherschutz.