Friday, May 05, 2006

Abgeordnetes Expertentum


Es gibt im Berliner Parteien kleine und grosse Fraktionen. Unter ihnen ist auch eine Fraktion, die in der Wahrnehmung doch eher als politisch unscheinbar gilt und vielmehr im Entertainment verankert scheint. Dem Zufall des Wählers Entscheidung getrotzt ist es, dass sie derzeit gerade den Oppositionsführer stellt. Es gab also schon bessere Zeiten für die Republik.

Eines ihrer Mitglieder zeigt nun auch wieder sehr deutlich, dass die Regierungsbank auch nicht der wirklich geeignete Ort für diese unscheinbare Entertainment-Opposition ist. Hier wollte es eher der Zufall als der Wähler, dass sie Mitglied des Bundestages wurde und nachdem 2002 Werner Hoyer als letzter ernstzunehmender Außenpolitiker übrigblieb (weil wohl eher schlecht für Entertainment geeignet) übernahm die fünfte Garnitur das Feld der Außenpolitik. Allerdings sind diese dann gleich auch Experten nicht nur für ein Gebiet, sondern mindestens für zwei: Japan und Lateinamerika, aber wohl auch für China und Indien wie der Lebenslauf suggeriert. Eigentlich müsste sie aber Weltexpertin genannt werden, denn schließlich kennt sie sich in Afrika ebenso gut aus.
Dieses Expertenwissen unterstreicht jene Abgeordnete dann gleich glanzvoll: da wird der "jüngste Linksruck" Boliviens am 2. Mai 2006 kritisiert, der "Linksruck in Peru" setzt am 10. April 2006 die Entwicklung im "Superwahljahr 2006" von Lateinamerika fort und es ist eigentlich schon ein Wunder, dass am 14. März 2006 die "Politik der harten Hand gegen die linken FARC-Rebellen" nicht auch den "Linksruck" auf einem ganzen Kontinent verstärkt. Man möge von Glück reden, dass Japan nur eine Regierung hat - sonst würde auch dort die Links-Bewegung auf dem Vormarsch sein.

Von einem Experten darf man viel erwarten, vor allem eine sachgerechte Auseinandersetzung und keine ideologischen Reflexe auf andere politische Vorstellungen. Die renomierte Zeitschrift Internationale Politik ist in ihrer jüngste Ausgabe nämlich auf genaue jene Sterotype ausführlich eingegangen. Sie legt dort detailliert und kenntnisreich dar, dass der äußerliche Schein einer gleichgerichteten linksorientierten Politik in Südamerika nicht haltbar ist. Die Staatschefs handeln dann doch eher pragmatisch in - teilweise wohl auch nur angenommenen - Interesse ihrer Länder. Lula da Silva in Brasilien, Michellé Bachelet in Chile und andere finden in ihrer Politik vielmehr Zustimmung der Unternehmerschaft, obwohl sie vor ihren Wahlen nach europäischen Reflexmustern linken Parteien angehört haben und weiter angehören.
Und Evo Morales in Kolumbien ist nun alles andere als ein linker Politiker, wie die Lateinamerika-"Expertin" der FDP-Bundestagsfraktion zu verkünden meint zu müssen. Auch wenn die Bewegung den Sozialismus im Namen trägt, ist sie ein buntes Bündnis sozialer Bewegungen ohne weltanschaulich definierte Ausrichtung. Als Indio-Führer geht es ihm um zentrale Fragen des sozialen Ausgleichs, der bisher in Bolovien nicht stattfand. Dies hat auch den Grund, dass die reichen Erdgasvorkommen des Landes vor allem von ausländischen Gesellschaften ausgebeutet wurden und die Gewinne ins Ausland transferiert wurden. In dem bitterarmen Land blieb eher wenig zurück - auch wenn die Korruption eingerechnet wird. Die Expertin der FDP-Bundestagsfraktion irrt also mit ihrer wohl eher dem europäischen ideologischen Denkmuster entstammenden Vorstellung, dass die Verstaatlichung der Erdgasfelder dem Land schadet. Morales mag in europäischen Augen kein williger Vollstrecker sein, ob die Verstaatlichung dem Land schadet wird sich eher zeigen. Geht Morales nämlich die Korruption an und investiert das gewonnene Geld in eine wirksame Inlandsentwicklung, tritt eher das Gegenteil ein. Wären die Verträge der Vergangenheit nicht so einseitig zu Lasten Boliviens geschlossen worden, wäre es jetzt auch nicht zur Verstaatlichung gekommen. Insofern tragen die Unternehmen, die sich jetzt beklagen, ihren Anteil an der katrastrophalen bolivianischen Entwicklung.
Es ist also weniger die Frage, ob Außenminister Steinmeier sein Lateinamerika-Politik in einen europäischen Kontext einbettet, sondern ob die selbsternannte Expertin nicht zunächst einmal ihr Expertenwissen auffrischt und den ideologischen Mantel abstreift. Ist dies Geschehen, würde ein Lateinamerika-Konzept der FDP-Bundestagsfraktion vielleicht auch zu einem tragfähigen Ergebnis kommen. In einer Partei, die fast drei Jahrzehnte mit Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel die Außenminister stellte, ein trauriges Ergebnis. Aber der Entertainment-Klamauk jener Partei folgt die programmatische Schwachstelle wohl auf dem Fuße.

Übrigens: Betrachtet man die Webpräsenz der Expertin vermisst man das Expertenwissen ziemlich gewaltig. Dieses wird dort ganz unter den Teppich gekehrt und die erste Bundestagsrede gepriesen. Thema: Scoring und Verbraucherschutz.

No comments: