Sunday, June 17, 2007

Parteitag II: Die Freiheitsstatue der Republik


Als die FDP ihren Bundesparteitag 2007 geplant hatte, dürfte die Gründung der Linkspartei noch wenig beplant gewesen sein. Dass die Linkspartei ihren Gründungsparteitag ausgerechnet auf ein FDP-Wochenende legte, war den auch denkbar unschön und stahl der Entertainment-Opposition die Show. Bedenkt man die Kosten eines solches Großereignisses ist die mediale Ausbeute denn auch denkbar gering.

Während die mediale Ausbeute mit anderen Ereignissen konkurriert, sind es die Inhalte gewöhnlich nicht. Diese verantwortet eine Partei gewöhnlich selbst. Wer dann gehofft hatte, die Themen Kultur und Soziales bestimmen auch nach außen hin das Erscheinungsbild dieses Parteitages wurde rasch eines besseren belehrt. Der Parteitag war schlicht langweilig und lediglich das magere Ergebnis für Vize Pieper sorgten dafür, dass das Stuttgarter Delegiertentreffen einigermaßen wahrgenommen wurde.
Die Inhalte blieben jedoch mager. Dies lag weniger darin, dass sie eine Zusammenfassung der bisherigen Beschlusslage darstellen. Was jedoch wieder fehlt ist eine Vision über den Umbau des Sozialstaates hin zu einer leistungsfähigen und leistungswilligen Gesellschaft. Selbst die FDP, die rhetorisch so stark von der Abkehr des Staates spricht, ist in sich genauso staatsgläubig wie Grüne und Union. Die Nuancen in dieser Jamaika-Koalition sind nur partiell. Egal ob Bildung, Kinderbetreuung, Rente oder oder Sozialfürsorge: der Staat bleibt im Mittelpunkt des Denkens, nicht die Gesellschaft. Die Politik - die FDP eingeschlossen - hat es bislang verpasst, gesellschaftliche Kräfte zu stärken und wie in den USA die Gesellschaft stärker in die Pflicht zu nehmen. Diese Pluralität fehlt im Denken der FDP weitgehend nicht nur im Sozialen, sondern auch im Kulturellen.

Was übriggeblieben ist von dem Stuttgarter Treffen der Entertainmentopposition ist die plakative Revitalisierung des Spruches "Freiheit oder Sozialismus". Westerwelle, tief verärgert über das parallele Treffen der Linkspartei, erhielt zwar innerparteiliche reichhaltige Kritik. Mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Wolfgang Kubicki war sie jedoch von den üblichen Verdächtigen seiner ewigen Rivalen. Die Partei blieb stumm und man könnte fast glauben, die innerparteiliche Diskussionskultur, früher zwar gesitteter aber ähnlich freudig wie bei den Grünen, hat sich zwischenzeitlich verabschiedet. Westerwelle ist unumstritten und ein Wiederwort traut sich niemand mehr.

Slideshow: Guido im Rampenlicht

Parteitag I: Vergangenes wird wiederbelebt


Es ist ein dreifaches Comeback: Oskar Lafontaine, Lothar Bisky und Gregor Gysi waren alles Politiker, die bereits von ihren Ämtern abgetreten waren. Während Bisky und Gysi von ihren eigenen Partein ob des Unvermögens ihrer Nachfolger aus dem Ruhestand wiederbelebt wurden, wurde Lafontaine der Ruhestand offenbar doch ein wenig zu langweilig und er belebte sich 2005 selbst wieder.
Man könnte daraus auch folgern, dass es die Partei der alten Männer sind. Fakt ist jedenfalls, dass die "neue" Partei nicht in der Lage ist, neue Köpfe zu präsentieren. Die stetige Dominante der Partei ist dabei Lafontaine, der sie immer wieder dazu benutzt, um mit seinen alten Genossen von der SPD abzurechnen. Die Abwahl seines Erzrivalen Schröder hatte er bereits erreicht und nun geht es ihm immer stärker darum, die Dominanz über die SPD von außen zu erhalten. Für Lafontaine ist es eher ein Spiel und die neue Linkspartei sein derzeitiges Spielzeug. Es geht im dabei überhaupt nicht mehr darum, konstruktive und zielführende Politik zu gestalten.

Dabei offenbart auch das Programm - oder besser gesagt die Programmfragmente - der Partei die eher rückwärtsgewandte Position im Parteienspektrum. Die Linkspartei ist in der Realität einer globalen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft noch nicht angekommen. Lafontaine fasste dieses "klarste Profil aller Parteien" zusammen
Wir sind ja in den Gemeinden und Ländern in der Verantwortung, aber wir sind im Bund nicht bereit, unsere Hand zu reichen zum Sozialabbau. Sobald aber ein Partner auftaucht, der uns sagt, oder zwei Partner, wir revidieren Hartz IV, wir bauen eine Rentenformel, die eine armutsfeste Rente garantiert, wir machen eine Steuerpolitik, die auch die Vermögenden und Wohlhabenden stärker heranzieht, und wir ziehen die Truppen aus Afghanistan zurück, bilden wir sofort eine Regierung. Das sind alles Vorschläge, die in anderen Ländern realisiert sind, in anderen Ländern gehen, auch von konservativen Parteien mitgetragen werden. Wir sollten den deutschen Sonderweg des Sozialabbaus und der Beteiligung an völkerrechtswidrigen Kriegen aufgeben.
Lafontaine verschweigt dabei die Länder, die jenes getan haben. Ihm kommt es auf den Kuschelstaat an und für die Einführung des Sozialismus. In den Programmeckpunkten heisst es hierzu:
Dazu machen wir uns im Hier und Heute auf den Weg, gegen Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und gegen patriarchale und rassistische Unterdrückung. ... Aufgabe linker Politik bei der Schaffung eines modernen Sozialstaates ist der dauerhafte Schutz der Menschen in großen Lebensrisiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit und Armut.
Was heisst dies jedoch in der Realität: Der Staat wird aufgebläht und zum Kontrolleur des freien Unternehmertums. Die Rücknahme der Hartz IV-Gesetzgebung führt zur Herausnahme der zwischenzeitlich eingetretenen Dynamik auf dem Arbeitsmarkt. Die Linke verkennt da hier grundsätzlich, dass es zunächst Aufgabe jedes Einzelnen ist, sich vor den Lebensrisiken zu schützen und dass er dies auch seinen individuellen Bedürfnissen entsprechend besser kann.
Aber auch was die internationale Politik anbelangt hat die Linke bis heute nicht verstanden, dass es bei Auslandseinsätzen nicht (nur) um deutsche Politik und Interessen geht, sondern um die Sicherung internationaler Stabilität. Unabhängig davon liegt die Beseitigung eines instabilen und terroristisch orientierten Staates wie dem Taliban-Regimes im deutschen Interesse und der dortigen Bevölkerung. Hier fehlt der alten wie der neuen Linken ein fundiertes Konzept für Friedensschaffung und Etablierung. Übersehen hat sie nämlich den doppelten Ansatz deutscher Außenpolitik.

Thursday, June 07, 2007

Das neue Triumvirat Europa´s


Als Gerhard Schröder 1998 seinen Amtseid leistete, hatte er noch dicke Bande nach 10 Downing Street geknüpft. Der damalige Hausherr hieß Tony Blair. Beide haben 1999 sogar ein Positionspapier veröffentlicht, in dem die neue Sozialdemokratie - New Labour auf europäisch - beschrieben wurde. Mit ihren französischen Freunden um Lionel Jospin hatten sie es sich damit zwar verscherzt, aber der deutschen Politik neben der nach Paris eine neue strategische Achse in Europa nach London vermittelt.
Acht Jahre später sieht die Welt schon anders: Lionel Jospin sah sich 2002 gezwungen, zur Wahl seines Erzrivalen Jacques Chirac aufzurufen und sich ansonsten in den sozialistischen Ruhestand zu verabschieden. Don Testosteron Gerhard Schröder kümmert sich zwischenzeitlich um die Ölpipelines in der Ostsee und wurde zuvor in den politischen Ruhestand verabschiedet. Und auch Tony Blair hat sich abgearbeitet und seine gelegentlichen Ausflüge zu seinem Vorbild Bush jun. ihne letztlich quälend aus dem Amt entfernt.

Wenn am 27. Juni 2007 der neue britische Premier sein Amt antritt ist das europäische Triumvirat komplett: Angela Merkel als Bundeskanzlerin in Berlin, Nicolas Sarkozy als PräsidentenPremierminister in Paris und Gordon Brown als Lordsigelbewahrer britischer Souveränität in London. Schon einmal gab es diese Gemeinsamkeit, als sich vor EU-Gipfeln eben jene drei wichtigsten europäischen Amtsträger trafen und deutlich machten: Ohne uns geht nichts und gegen uns schon gar nichts. Der Zorn der kleineren EU-Mitglieder war ihnen gewiss. Aber auch die damit dargelegte Machtbasis.

Die europäischen Aufgaben sind jedoch gewaltig und so darf es weniger auf Befindlichkeiten als auf Lösungen ankommen. Die drei großen Staaten der EU haben hier eine zentrale Motorfunktion und die müssen sie nach Möglichkeit auch gemeinsam wahrnehmen. Und was sind die Aufgaben:

Europäische Verfassung: Der Prozess ist zwischenzeitlich festgefahren, nachdem in Frankreich und den Niederlanden die Bevölkerung "NEIN" zu Europa sagte. Frankreichs Präsident Sarkozy hat im Wahlkampf deutlich gemacht, dass ihm eine schlanke Verfassung vorschwebt, die rasch ausgearbeitet und implementiert werden kann. Darin inbegriffen ist jedoch auch die Lösung der Beitrags-Frage und deren Rabatte. Der EU-Gipfel Ende Juni 2007 wird hier den Fahrplan bestimmen und durch die Einbindung Londons kann hier der Weg gelegt werden, bei dem die Bürger wieder sich als Europäer fühlen.
Die Weichenstellung ist aber auch im Hinblick auf die Erweiterungsrunden erforderlich. Dies betrifft nicht nur die Türkei, sondern auch die Ukraine, die Balkan-Staaten und die Kaukasus-Region sowie das weitergehende Verhältnis zu Russland. Nur wenn die Frage der weiteren Integrationstiefe geklärt ist, kann auch eine Antwort auf die Dauer der Konsolidierung der bisherigen Erweiterungsprozesse und die Gestaltung der zukünftigen Erweiterungen gefunden werden.
Die Big Three haben hier eine zentrale Verantwortung. Sie sind es letztlich, die die Hauptlasten tragen müssen und den Hauptnutzen haben. Ohne sie geht es nicht und dies ist auch allen anderen EU-Mitgliedern bewusst. Während dabei ein Dissens mit einigen Kleinen aushaltbar ist, wird der Dissens der Big Three langfristig eine Spaltung Europas zur Folge haben.

Transatlantische Beziehungen: Die USA werden in rund eineinhalb Jahren einen neuen Präsidenten haben und der amtierende ist aufgrund seiner innenpolitischen Isolation zur lame duck geworden. Die EU hat damit Zeit, ihr Verhältnis zu den USA neu zu ordnen und sich innerlich zu einigen. Deutlich muss werden: die EU lässt sich nicht auseinanderdividieren. Die Big Three müssen insbesondere Polen und Tschechien verdeutlichen, dass - unabhängig von der Meinung zum Raketenabwehrschild - solch grundsätzliche Fragen nicht mehr allein durch die Mitgliedsstaaten entschieden werden können. Und auch der USA muss deutlich werden, dass die Spaltung der EU langfristig ihr eigener Schaden ist und der kurfristige Nutzen hier nicht hilft.
Gleichzeitig müssen die Positionen zur Doha-Runde, den diversen Auseinandersetzungen vor der WTO, Klima- und Umweltfragen und auch die Frage der Erweiterung von EU und Nato mit den USA geradegezogen werden.
London als historisch enger Verbündeter, Deutschland als die führende Macht in Europa und Frankreich als grand nation mit dem Anspruch des Gegenspielers zu den USA bildet ihr eine ideale Ergänzung, die Europas Interessen artikulieren kann, ohne gleichzeitig als Gegenpart zu den USA zu stehen.

Zentralasien und die Energiefrage: Die Konfliktlage im Nahen Osten, der Ölhunger Chinas und Indiens und die Suche nach Energiequellen ausserhalb Russlands haben die zentralasiatsichen und kaukasischen Staaten in das Blickfeld rücken lassen. Während die USA nach einem kurzzeitigen Intermezzo 2002 und 2003 sich wieder aus der Region zurückziehen mussten genießt Europa durchaus an Ansehen. Obwohl Russland im Verbund mit China über die Shanghai-Organisation wieder versucht, in diesem Republiken Fuss zu fassen, besitzt auch die EU eine Chance, die Region in ihrem Sinne zu beeinflussen. Berlin hat mit der Ankündigung der Zentralasien-Initiative die Zeichen der Zeit erkannt, bilden die Republiken doch eine Chance der Reduzierung der Abhängigkeiten von Russland. Zudem könnten sie die gemeinsamen Werte von USA und Europa in die Region hineintragen. Obwohl der Präsidentenwechsel in Turkmenistan kein regime change geworden ist, bietet er dennoch Hoffnung. Denn auch ein Präsident Berdimuhammedow kann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und seine Versprechen zur Verbesserung der sozialen Lage ad acta legen. Und auch in Kirgistan wurden mit Bakijew und Kulow - wenn auch derzeit mal wieder zerstritten - the wind of changes eingeleidet.

Russland und die europäischen Beziehungen: Russland berüht zwischenzeitlich (wieder) vielfältig die europäische Entwicklung. Einerseits ist der eurasische Koloss einer der wichtigsten europäischen Lieferanten von Öl und Gas. Die Abhängigkeit wurde demonstriert, als eigentlich der Ukraine der Ölhahn zugedreht werden sollte, aber auch an den zentraleuropäischen Endpunkten weniger Öl ankam. Russland ist sich dieser Macht durchaus bewusst. Die Moskauer Unmutsäußerung hinsichtlich gescheiterter Übernahmen europäischer durch russischer Unternehmen war vernehmbar und auch die unterschwellige Drohung deutlich.
Russland spielt jedoch auch auf der internationalen Bühne wieder eine Rolle, bei der Brummen des sibirischen Bären nicht mehr einfach überhört werden darf. So ist es Teil der G4 für den Nahen Osten, Teil der Shanghai-Organisation im Einklang mit China und baut seinen Einfluss in Zentralasien wieder erheblich aus. Aber auch an den Grenzen zur EU - Moldawien, Ukraine und Belarus - wirkt es destabilisierend.
Der Einfluss wirkt sich zwischenzeitlich auch innereuropäisch aus. So fühlt sich Polen durch die deutsche Ratspräsidentschaft nicht repräsentiert und insgesamt übergangen. Die Umgehung des östlichen Vorpostens der EU durch die Ölpipeline in der Ostsee hatte bereits zu einer Verstimmung zwischen Berlin und Warschau beigetragen. Polen verhindert zwischenzeitlich jedoch auch die Verhandlungen über einen neuen Vertrag EU-Russland, nachdem die russischen Behörden die Einfuhr polnischen Fleisches untersagten.
Die Big Three können durch eine konzertierte Aktion zahlreiche Konflikte auflösen. Während nämlich Berlin sehr gute Kontakte nach Moskau pflegt, sind die Bande zwischen London und Paris zu Warschau historisch bedingt positiv. Gleichzeitig kann verhindert werden, dass Russland weiterhin innerhalb der EU Konfliktstoff sät und so die EU auseinanderdividiert.

Naher und Mittlerer Osten: Europa ist Teil des Nahost-Quartetts und die Big Three haben in der ein oder anderen Form sehr gute Beziehungen zu den dortigen Staaten. Sie sind damit in der Lage, sich auch ausserhalb der europäischen Strukturen zu engagieren. Gleichzeitig wird es jedoch darum gehen, Europas Gewicht in politischer, wirtschaftlicher und humanitärer Sicht einzubringen und im Rahmen der Entwicklung zu einem global player der EU und nicht der Mitgliedsstaaten bedarf der Entwicklung einer EU-Regionalstrategie.
Vor dem Hintergrund ihres Eigengewichts in der Region sind es damit maßgeblich die Big Three, die diese Regionalstrategie in Inhalt und Form prägen werden. Dabei müssen sie sich jedoch zunächst auch über die derzeit noch divergierenden Ziele einig werden. So steht London im Iraq, Berlin und Paris unterstützen lediglich einzelne Projekte. Die Findung einer gemeinsamen Haltung in dieser Frage ist daher die Grundvoraussetzung für die weitere EU-Regionalpolitik.

Asien: Auch wenn die Dynamik etwas nachgelassen hat, sind die asiatischen Staaten immer noch eine der stärksten Wachstumsregionen weltweit. Hier haben die EU-Staaten aber auch die kohärenteste Politik gefahren, jedoch ohne ihre Eigeninteressen auch deutlich zu formulieren. Der Aufstieg Chinas und Indiens zu globalen Akteuren wurde bislang jedoch noch nicht wirklich umgesetzt und beide Staaten werden immer noch vor allem als Entwicklungs- und Schwellenländer wahrgenommen. Die Big Three besitzen ihr die Verantwortung und auch das ökonomische Interesse, dies zu ändern.

Mit dem Abgang von Tony Blair, der für sein eigenes Land eine Reformperformance entwickelt und umgesetzt hat, ist der Weg frei für ein geeinteres Europa. The Big Three werden auch in Zukunft keine Dominante in Europa sein. Jedoch können sie aufgrund ihrer eigenen unterschiedlichen Zielvorstellungen und ihre Vorabstimmung zum neuen Motor der europäischen Entwicklung werden. Das Angehen der beschriebenen Themen und noch einiger darüber hinausgehender Punkte ist in der unmittelbaren Zukunft ein zentrales Eigenanliegen der europäischen Staaten insgesamt.
The Big Three müssen sich hier zwar koordinieren, gleichzeitig jedoch den Eindruck aus der Jahrtausendwende vermeiden die EU domestizieren zu wollen. Die Kunst der Wahrnehmung der Eigeninteressen und der Ausbalancierung mit den kleinen EU-Mitgliedsstaaten wird alle Geschicke erfordern. Die neue Zusammensetzung des europäischen Triumvirats hat jedoch die Vertrauensgrundlage zwischen den Regierungen geschaffen, dies auch anzuhehen.

Tuesday, June 05, 2007

Diktatoren vor Gericht: Charles Taylor


Als Liberia noch unter der Herrschaft Charles Taylors stand, konnte man gewiss sein, dass nicht nur Korruption das Land beherrschte, sondern auch ein Ausmass an bisher unvorstellbarer Gewalt. Die Gesellschaft war verroht und die Zukunft durch die Rekrutierung von Kindersoldaten einigermaßen verbaut. Zwischenzeitlich sieht das Land einer besseren Zukunft entgegen, auch und vor allem Dank Mama Ellen.

Taylor ist nun einer der ersten Staatschefs, die wegen ihrer Untaten vor ein Gericht gestellt werden. Wenn er auch derzeit noch nicht wegen den Kriegsverbrechen in Liberia, sondern wegen jener unsäglichen Einmischung in das Nachbarland Sierra Leone angeklagt wurde, ist es dennoch ein Anfang. Dabei wurden frühere Absprachen über ein Exil Taylors in Nigeria aufgekündigt. Ein wirklicher Frieden war bei den Opfern so nicht zu finden, die heute mit abgehackten Armen oder eben dem Trauma eines Mörders aus Kindheitstagen leben müssen.
Der Rechtsstaat in den sich entwickelnden Demokratie der westafrikanischen Staaten hat dennoch versagt: es ist auch mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft nicht möglich gewesen, die Verfahren in Freetown oder Monrovia zu führen. Vielmehr musste man nach Den Haag ausweichen, um die Stabilität der Länder nicht zu gefährden. Taylors Name sorgt in der Region immer noch für eine Polarisierung der Gesellschaft und so findet der erste Prozess gegen Taylor unter Ausschluss der heimischen Bevölkerung statt. Und es ersetzt auch nicht die Heranziehung der Tausenden Helfer Taylors, Sankohs und der anderen Kriegsverbrecher in Sierra Leone und Liberia und rund um den Erdball. Ob dies in den Ländern selber mittels einer "Wahrheitskommission" oder von ähnlich den Gajaca-Gerichten geschieht, ist dabei erst einmal zweitrangig. Aber die Gesellschaften brauchen auch ihren inneren Frieden - und dafür ist die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft sinnvoll und notwendig.

Taylors Prozess sendet jedoch ein Signal aus, welches schon beim Prozess gegen Saddam Hussein sichtbar wurde: Diktatoren sind nicht mehr imun. So wird bereits seit einiger Zeit um den Prozess gegen den früheren zentralafrikanischen "Kaiser" Bokassa gestritten. Und auch Idi Amin und Mengistu Haile Mariam sitzen noch genügsam im Exil, wenn sie sich auch nicht aus ihren Häusern trauen. Es bleibt also viel zu tun ...


Man muss an dieser Stelle auch mal ein Lob an unsere Weltexpertin aussprechen. In ihrer neuesten Äußerung hat sie sich erstmals in ihrer Karriere ganz ohne Expertenwissen - aber dafür um so gehaltvoller geäußert.


Lesehinweis:
Torsten Matzak: Bürgerkrieg in Liberia . Dimensionen der Gewalt in Zeiten der Theorien der "neuen" Kriege