Monday, November 26, 2007

"Wann wir schreiten ...


... Seit an Seit". Dieses alte Arbieterlied wurde nun am vor vier Wochen von der alten SPD wieder hervorgekrahmt und im Vergleich zum "Godesberger Programm" von 1956 ein klassische Rolle rückwärts gemacht. Elf Jahre hat es gedauert und heraus gekommen ist das Bekenntnis zum "demokratischen Sozialismus". Dieses Bekenntnis von vor vier Wochen scheint zwischenzeitlich sehr in zu sein, haben doch auch die Grünen am vergangenen Wochenende die Rolle Links fabriziert und damit gezeigt, dass ihnen doch der Glaube an den Staat wichtiger als der Glaube in den Staat ist.

Man kann über Gerhard Schröder sagen, was man will: Genosse der Bosse, Obermacho, Berufsopportunist. Aber was er gemacht hat, hatte die SPD weg von ihren alten sozialistischen Träumen in die Realität des 21. Jahrhunderts geführt. Der Staat kann nicht alles und muss mehr Eigenvorsorge von seinen Bürgern verlangen. Für diesen schröderschen Kurswechsel steht nicht nur Hartz IV, sondern auch die Riester-Rente, die Förderung des Ehrenamtes und der erste Ansatz zur Föderalismusreform. Die SPD hatte in einem schmerzlichen Lernprozess mit einem hohen personellen Verlust - aus dem sich schließlich auch die Linkspartei speiste - die Anforderungen eines modernen Staatswesens anzunehmen. Schröder fasste dies mit den markigen Worten "Fördern und Fordern" zusammen.
Der frühere Bundeskanzler war mit dieser Forderung nicht beliebt und hatte im Frühjahr 2004 gerade deshalb den Parteivorsitz abgeben müssen. Franz Müntefering, einmal begeisterter Lafontaine-Indianer, war besser in der Partei verankert - Schröder nutzte diese vor allem als Plattform, ohne wirklich in ihr aufgehoben zu sein. Abstriche gab es jedoch nicht. Konsequent waren die hohen Verluste der SPD, hatte sie doch das staatsverwöhnte Stammpublikum vom hochsubventionierten Bergarbeiter bis hin zum Krankenkassen-Patienten schlicht vergrault. Revolutionen sind keine Liebesverhältnisse.
Kaum war Schröder weg, kam der "demokratische Sozialismus" zurück. Müntefering, obwohl zwischenzeitlich strammer Schröderianer, konnte sich dem nicht widersetzen und wurde selbst hinweggefegt von der Parteispitze. Den Ton gaben wieder die Linken in der SPD an, die mit Andrea Nahles eine neue Gallionsfigur gefunden hatten. Der Mindestlohn war wieder in, die Staatsgläubigkeit wieder in die alte Dame SPD zurückgekehrt.

Und die Grünen? Obwohl sie sich selber als "liberale Kraft" sehen, haben sie die Ursprünge des Liberalismus - das Hambacher Fest und die Ideen Friedrich Naumanns - nie wirklich verstanden. Liberalismus will nicht den gefrässigen Staat, sondern den starken Staat - in den Feldern, wo er Aufgaben hat. Ob nun Grundeinkommen oder Grundsicherung, es sind zwei Seiten der selben staatsgläubigen Medaille. Der gesamte Duktus des Parteiprogramms zielt darauf, die Hartz IV-Reformen in einem der wesentlichsten Teile wieder rückgängig zu machen und den Staat mit Mehrkosten in Höhe von 60 Milliarden € zu belasten: die Eigenvorsorge und Eigenversorge des Menschen zu verlangen.
Mit dem Ja zur Grundsicherung ist die Partei der populistischen Versuchung erlegen, die eigene Arbeitsmarktreform schlechtzureden.
Abendzeitung, 26.11.2007
Wenn eine grüne Berufsjugendliche ausruft „Auch der Punker in Kreuzberg hat seine Existenzberechtigung, und sei es als Projektionsfläche der Bourgeoisie.“ zeigt dies, wohin es gehen soll. Wenn jedoch jeder sich als Projektsfläche sieht, bleibt niemand mehr, der diese Projektionsfläche finanziert. Guido Westerwelle, obwohl zwischenzeitlich auch mehr auf Entertainment aus, hatte hierzu einmal den passenden Satz parat: Es ist ihm egal, ob ein Punker arbeitet. Aber dann solle er bitte nicht den Anspruch erheben, dass er vom Staat ausgehalten wird.
Was die Grünen erreichen wollen, bleibt fraglich. Als dritte linke Partei neben SPD und Linkspartei bleibt nicht viel Raum, gerade deshalb hatte sich die Partei in ihrer fast 30jährigen Geschichte vom linksextremen Flügelrand in die Mitte bewegt und achambiert seit einiger Zeit mit der Union für eine Koalition. Das Darmstädter Echo schreibt hierzu jedoch folgerichtig: "Anstatt das liberale Milieu und die Union als Koalitions-Option zu erschließen, gefällt man sich in der Rolle einer grün eingefärbten Lafontaine-Truppe, für die der versorgende Staat das Maß aller Dinge ist." Sicher. Die Parteiführung ist nicht noch einmal abgestraft worden. Aber dies vor allem, weil sie die bereits vorher den liberalen Anspruch aufgegeben und das Programm linken Träumereien angepasst haben. Von einer politischen Führungskraft erwartet man anderes und erst recht, wenn sie den Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung erhebt. Aber:
Die Grünen sind damit in der Opposition nicht nur angekommen. Sie haben sich dort gleich derart behaglich eingerichtet, dass sie auf absehbare Zeit wohl dort bleiben werden. Denn die Festlegung auf eine Grundsicherung ist zugleich die Absage an eine Koalition unter Beteiligung von Union oder FDP. Es bleibt folglich nur noch die Option Rot-Rot-Grün. Ob eine solche Konstellation nun überhaupt noch eine Mehrheit bekommen würde, ist zudem fraglich. Denn die Grünen steuern mit den Beschlüssen von Nürnberg genau dorthin, wo SPD und Linkspartei bereits sind.
Rhein-Neckar-Zeitung, 26.11.2007
Ob dies dem deutschen Parteiensystem insgesamt gut tut, bleibt einmal dahin gestellt.

Eigentlich war man davon ausgegangen, dass der "demokratische Sozialismus" sich mit dem 9. November 1989 auf immer aus der deutschen Politik verabschiedet hatte. Nachdem die PDS zumindest begrifflich das Feld geräumt hatte, holen SPD und Grüne ihn nun wieder heraus. Die Verbindung der Begriffe "Demokratie" und "Sozialismus" ist ein Anachronismus an sich. Beide Parteien haben gezeigt, dass sie es zwischenzeitlich auch wieder sind: sie passen nicht in die Zeit!

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