Wednesday, November 28, 2007

Der ewige Antisemit


Der Begriff des Antisemitismus ist noch nicht so alt: 1879 wurde er geprägt und als Oberbegriff für alle Formen der Verfolgung von Menschen jüdischen Glaubens genutzt. Den fürchterlichen Höhepunkt der Judenverfolgung erlebte die Welt zweifelsohne zwischen 1933 und 1945 mit einer gezielten Ausrottungsstrategie. Die Welt wollte mit der Gründung des Staates Israel 1948 den Juden der Welt vor diesem Hintergrund eine Heimstatt geben und der neue Staat wurde von seinen Nachbarn von Anbeginn militärisch und politisch bekämpft, von Teilen der arabischen Welt bis heute.

In Deutschland und anderen Teilen der Welt ist der Begriff des Antisemitismus jedoch zwischenzeitlich zu einem Kampfbegriff geworden. Es geht den Nutzern dieses Begriffs dabei weniger um die Frage, ob der jüdische Staat oder jüdische Gemeinschaften existieren sollen. Diese Frage ist längst mit einem klaren JA beantwortet worden und dies nicht nur vor dem Hintergrund multikultureller Gesellschaften mit Menschen aus den verschiedensten Religionen und Kulturkreisen. Bei der Verwendung des Begriffes Antisemitismus geht es vielmehr um die Beurteilung israelischer Regierungspolitik, die für eine faktisch sakrosant ist. Man erinnere sich noch an die Causo Möllemann / Friedmann und Möllemanns Äußerung im ZDF
"daß kaum jemand den Antisemiten, die es in Deutschland leider gibt und die wir bekämpfen müssen, mehr Zulauf verschafft hat als Herr Scharon und in Deutschland ein Herr Friedman mit seiner intoleranten und gehässigen Art."
Möllemann wurde als Antisemit gebrantmarkt und der FDP-Parteivorstand sah sich unter dem Druck der Öffentlichkeit genötigt, eine Erklärung zu Lasten Möllemanns abzugeben. Das es hier auch innerparteiliche Ränkekämpfe zwischen Parteichef Westerwelle und Möllemann gab, sei nur am Rande erwähnt.
Was aber ist dran an den dem antisemitischen Gehalt der Äußerung? Nichts. Denn Möllemann hat nicht eine Religion, sondern die Politik einer Regierung kritisiert. Die Verbindung zur Religion und Shoa wurde von Friedmann hergestellt.


In Zeiten heftiger Kämpfe in Nahost, des Mauerbaus durch Israel um die Westbank und die Abriegelung des Gaza scheint die Antisemitismusdebatte wieder Konjunktur zu haben. Das Internet ist dabei eine hervorragende Plattform, bietet sie doch die Plattform und Anonymität für allerlei krude Vorstellungen. Einer der Protagonisten an dieser Stelle ist ein gewisser Alex Feuerherdt, der unter dem Label "Liza´s Welt" allerlei krude Vorstellungen über den Nahost-Konflikt liefert. In der recht einfachen Vorstellungswelt lässt sich die Ursachenforschung schnell zusammenfassen: Israels Politik ist bare jeder Kritik und in Deutschland regiert vor allem der Antisemitismus.
Wer ist dieser Alex Feuerherdt? Sucht man im Internet, findet man nicht viel, aber die wenigen Brocken reichen, um eine Kurzbiographie zu erstellen: geboren 1969, Buchhändler und in Bonn ansässig. Arbeiten tut er für einen Kölner Sport-Verlag und veröffentlich "Beiträge zur Politik und zum Fussball" in Zeitungen wie Jungle World und Prodomo. Das wars auch schon. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Themen Antisemitismus, Israel und Nahost-Konflikt, deutscher / europäischer Geschichte oder ähnlicher Themen ist nicht bekannt. Daher zurück zu den (vermeintlich) anonymen Veröffentlichungen.
Wird eben jene Regierung Israels - sei diese berechtigt oder nicht - in ihren Handlungsweisen kritisch beurteilt, so gilt der Autor eben jener pauschal als antisemitisch. Allein in den 16 Beiträgen im Mai 2007 auf einer Seite findet sich mehr als 24 mal das Wort "Antisemitismus". Dies ist kein Einzelfall und man braucht auch nur Stichprobenartigen nachzuzählen: im August 2006 waren es in 38 Nennungen in 20 Beiträgen und im Januar 2007 stellten wohl die 117 Nennungen in 15 Beiträgen den einsamen Spitzenwert dar.
Erstaunlich ist, dass selbst in einem Beitrag zu Jürgen Klinsmann in der Zeitschrift Prodomo nicht ohne das Wörtchen Antisemitismus auskommt. Hier reicht ein kurzer Schwenk auf den Irak- und Kosovo-Krieg, um die Leichtigkeit des Seins, die jener Bundestrainer den Deutschen zur Freude der ganzen Welt wieder beigebracht hat. Feuerherdt bleibt dabei jedoch den Beweis für seine Behauptung, Bush und Sharon wurden in eine Reihe mit Adolf Hitler gestellt, ebenso schuldig wie seine sonstigen schlicht falschen Behauptungen.
Dabei wäre ein Blick auf das zweite Thema, welches der Blog als sein Thema ausgibt, durchaus weiter betrachtenswert - und zwar im Rückblick auf die Fussball-Weltmeisterschaften 2006. Es verwundert, wie schnell auch hier der Antisemitismusverdacht ausgesprochen wird, wobei Israel nicht einmal an der WM teilnahm. Ein Zitat:
Es ist ja gar nicht so, dass diese Weltmeisterschaft keinen Spaß machen würde, auch wenn der Genuss durch den schwarz-rot-goldenen Taumel inklusive Volltrottelkostümen etwas getrübt wird. Wenn man etwa das zweifelhafte Vergnügen hat, mit einem Trikot Englands oder der Niederlande in ein deutsches Autokorso zu geraten, weicht der ach so fröhliche Siegesrausch der Fahrzeugbesatzungen schnell mal hasserfüllten Attacken. Das Trikot der israelischen Mannschaft lässt man besser ganz im Schrank, denn „Die spielen doch gar nicht mit!“ wäre gewiss noch der harmloseste Kommentar, den man zu hören bekäme. (23.6.2006)
Der Autor übersieht dabei sehr deutlich, dass dies zwar ein trauriges Verhalten ist, jedoch nicht eines der deutschen Fussballseele allein imanentes. Ähnliche Vorkommnisse ließen sich auch in Großbritannien, Frankreich und wohl auch in Israel selbst feststellen.
Dabei war die Wooge des Nationalgefühls dem Autor Feuerherdt besonders suspekt. Deshalb schreibt der Autor am 13. Juni 2006:
Die nationale Euphorie schlägt sich unübersehbar nieder in der offensiven Beflaggung zahlloser Fenster, Balkons, Autos und Kneipen sowie im Tragen entsprechender Devotionalien; es ist offensichtlich, dass in Bezug auf die Symbolik der postnazistischen deutschen Gesellschaft auch die letzten Hemmschwellen endgültig gefallen sind.
Bloss zeigt sich die Geschichtsblindheit des Autors, waren die "Devotionalien" doch jene der Aufklärung des frühen 19. Jahrhunderts, die mit der Revolution von 1848 und den vorhergehenden Ereignissen -man erinnere sich an das Hambacher Fest - erstmals der deutschen Kleinstatterei den Garaus machen wollten und eine demokratische Verfassung in der Frankfurter Paulskirche erarbeitet haben. Die Nationalsozialisten hatten mit jenen Ideen nichts zu tun und waren daher bestrebt, die Symbole der deutschen Aufklärung möglichst rasch aus der Erinnerungskultur zu eliminieren und durch die Hakenkreuz-Fahne zu ersetzen.

Auch zahlreiche Prominente bleiben vor dem Antisemitismusvorwurf nicht verschohnt.
Am 29. Juli 2007 musste der Dalai Lama herhalten, der einer " gegen die Aufklärung gerichtete Religion einer autoritären Sekte" vorsteht. Die Freundschaft zu dem Bergsteiger Heinrich Harrer, immerhin einer der Lehrer des tibetischen Oberhauptes, macht ihn zum Nazi und auch andere nicht bestreitbare Grotesken sind dem Antisemitismus wie selbstverständlich zuzuordnen.
Am 13. Juli 2007 hatte es den Kultstar der linken Szene, Günter Wallraff erwischt. Seine Lesung von Salman Rushdies "Satanischen Versen", immerhin als Beitrag zur Aufklärung verstanden, mache bei den hinterwäldlerischen Muselmanen schlicht keinen Sinn. Der Schlusssatz: "Da spricht ein Exemplar der geschichtsdeterministischen Linken, die selbst Auschwitz nicht von ihren Überzeugungen abbringen konnte."
Und bereits am 1. Juni 2007 wurde der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, dem Antisemitismus verdächtigt. Das Treffen Pötterings mit dem Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas macht ihn bereits von Haus aus verdächtig. Das er jedoch vor in seiner Rede vor der Knesset nicht allein den Arabern die Schuld an der verfahrenen Situation im Israelisch-palästinensischen Konflikt gab, macht ihn vollkommen zu einem derjenigen, die mit Israel recht wenig am Hut haben. Der Autor suggeriert, auch Pöttering hält es mit den radikalen Islamisten, die Israel eher von der Landkarte weghaben wollen. Ideologie kennt keine Grenzen und bedient sich auch oft unlauterer Mittel, denn ein wirkliches verstehen dessen, was Pöttering gesagt hat, ist nicht zu erkennen.
Irgendwann am 17. Mai 2007 hatte es dann auch medicines sans frontieres erwischt: "Dass die Ärzte ohne Grenzen notorische Israelhasser sind, ist, zugegeben, nichts Neues." Und dies vor allem deshalb, weil sie sich um Tramata-Patienten in den Palästinenser-Gebieten kümmern und einer ihrer Ärzte - wohlgemerkt ohne dass die Organisation ihn unterstützt oder sein Tun gutgeheißen hätte - zum Radikalen wurde und den israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert töten wollte. Die Organisation, einer der renomiertesten NGO's weltweit, macht dies sogleich zum Antisemitenpool.
Jüngst wurde auch Tony Judt als verkappter Antisemit entdeckt. Als Beleg hierfür dient zu Beginn ein Aufsatz des New Yorker Historikers in den Blättern für deutsche und internationale Politik vom Dezember 2003:
Das Problem ist vielmehr, dass dieser Staat ein verspätetes Gebilde ist. Er hat ein typisches separatistisches Projekt des späten 19. Jahrhunderts in eine Welt importiert, die sich weiterentwickelt hat - in eine Welt der Menschenrechte, der offenen Grenzen und des Völkerrechts. Die Idee eines "jüdischen Staates" an sich - in dem Juden und die jüdische Religion exklusive Vorrechte genießen, von denen nichtjüdische Bürger für immer ausgeschlossen sind - hat ihre Wurzeln in einer anderen Epoche und in einer anderen Region. Israel ist, kurz gesagt, ein Anachronismus.
Das Judt seine Argumentation wohlbegründet vor dem Hintergrund der nationalistisch definierten Staatsgründungen nach dem Ersten Weltkrieg, interessiert "Lizza" herzlich wenig und macht Judt zum Kronzeugen gegen den Staat Israel. Natürlich kritisiert Judt zu Recht die einseitige Ausrichtung auf Menschen jüdischen Glaubens, die den Zugang zu höchsten Staatsämtern als Voraussetzung hat. Judt spricht sich aber klar für einen binationalen Staat aus, was "Lizza" und ihr Hilfszeuge Karl Pfeiffer jedoch schlicht unterschlagen. Das Judt nun auch noch den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken der Stadt Bremen erhält, ist dann selbstverständlich eher pietätlos. Feuerherdts Problem: Ein zwischenzetlich zum Standardwerk gewordenes Buch Judt's ("Die Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart") behandelt die Geschichte Europas eben nach 1945 und berücksichtigt nach Ansicht Feuerderdts die Zeit davor zu wenig. Ein Schelm, wer Böses dahinter vermutet.

Die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen, unter anderem mit den vermeintlichen "Antisemiten" und "Israelhassern" Jürgen Trittin oder Gerhard Schröder. Ein Beispiel soll jedoch noch herausgegriffen werden: die Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft. Gegründet, um die berechtigten Ansprüche von Zwangsarbeitern zumindest einigermaßen zu befrieden, hatte sie vor einiger Zeit ihre Arbeit der Geldauszahlung abgeschlossen. Selbst die Stiftung sagt, dass dies Entschädigungen das unermässliche Leid der Zwangsarbeiter nur bedingt würdigen können. Sei mal dahingestellt, dass Feuerherdt Schoa und Zwangsarbeit - die ausgerechnet gerade weniger die Juden Europas getroffen hatte, denn diese wollten die Nazis vernichten anstatt ausbeuten - historisch fehlerhaft gleichsetzt. Aber er sieht unter dem Abschluss der Auszahlung gleichzeitig einen "Paradigmenwechsel" und Schlussstrich, der weder gewollt noch gezogen wurde. Die willkürliche Interpredation an den Tatsachen vorbei zeigt, dass es Feuerherdt nicht um die Sache, sondern um die Verbreitung seiner These geht: Die Deutschen sind antisemitisch und werden es immer bleiben.

Bleibt als erstes Fazit: Feuerherdt reiht Zitate recht wahllos und aus dem Zusammenhang gerissen aneinander. Kriterien sind dabei nicht erkennbar. Um sich dann auch jeglicher Kritik an seiner weder journalistisch noch wissenschaftlich orientierten Werken aussetzen zu müssen, ist die Kommentarfunktion gleich mitgesperrt worden. Die Begründung: "Die Kommentarfunktion habe ich wegen solcher Leute wie dir abgeschaltet, die zu keinem Argument fähig sind und wirklich nur Stuss schreiben." Das Blogs gerade davon leben, übersieht der Autor und scheint sich einer Auseinandersetzung seiner Thesen nicht stellen zu wollen. Das allfällige Impressum verweigert er deswegen ebenso.


Erstaunlich ist dabei, wie leichtfertig jener als Journalist getarnte Verbalextremist historische Tatsachen beiseite schiebt. Eher harmlos ist dabei ein Betrag unter der Überschrift Skandalnormalität. Nicht die Tatsache, das Israel völkerrechtswidrig und gegen alle Aufforderungen der internationalen Gemeinschaften die Stadt der drei Religionen zur Hauptstadt erklärt hat findet Kritik, sondern dass die internationale Gemeinschaft diese Forderung durch die Errichtungen ihrer Botschaften in Tel Aviv untermauert. Der Autor stellt quasi Israel ausserhalb jeglichen internationalen Rechts und zeigt damit sein eigenes Verständnis für Recht und Gesetz.

Die inflationäre Verwendung des Begriffs des Antisemitsmus hat jedoch eine ziemlich einschneidende Folge, die fataler nicht sein könnte: sie verharmlost ihn. Die Rechte hat die Verharmlosung ebenso betrieben, ihre Motive waren offensichtlich und wurden aufgrund ihrer Offensichtlichkeit rasch entlarvt. Was jedoch jener Alex Feuerherdt bezweckt, bleibt zunächst unscheinbar, tituliert er sich doch selber als Freund Israels und der Menschen jüdischen Glaubens.
Was als Gutmensch daherkommt erweist sich beim näheren Hinsehen jedoch als einer der größten Feinde des nahöstlichen Staates. Die Außerkritiknahme von Rechts- und Demokratieverletzungen durch die israelische Regierung trägt dazu bei, bei Muslimen den Eindruck zu verstärken, Israel wird international anders behandelt als ihre eigenen Staaten. So findet die Existenz israelischer Atomwaffen in Dimona - ausserhalb der Kontrolle der IAEA - keine Erwähnung oder wird als vollkommen gerechtfertigt vor der bösen antiisraelischen Welt gesehen - Kritik hieran: Antisemitismus. Die überzogene Reaktion Israels auf Angriffe der libanesischen Hizbollah im vergangenen Jahr: Antisemitismus. Schlimmer noch: "Hass gegen Israel". Israel wird pauschal für gut, der Rest zum Bösen der Welt erklärt ... eine schwarz-weiß-Malerei, wie sie schon einmal zur größten europäischen Tragödie geführt hat und damit Israel mehr Schaden zufügen als jegliche offene kritische Auseinandersetzung mit der Regierungspolitik, wie sie auch anderswo geführt wird.

Nicht der Inhalt, aber die Überschrift von Max Frisch´ Biedermann und Brandstifter passen wohl am besten auf jenen getarnten Verbal-Extremisten. Israel kann sich seine Freinde nicht aussuchen und so wird Alex "Lizza" Feuerherdt wohl weiter als Brandstifter unterwegs sein.

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