Sunday, November 05, 2006

Sind die Neocons am Ende?

The Family of President Bush jun.

Im Vorfeld der U.S. mid term elections am 7. November läuft derzeit eine intensive Debatte, ob die Neocons am Ende sind oder nicht. Dabei kann es eigentlich nur um die Frage gehen, ob die Vertreter der Neocons in der praktischen Politik am Ende, nicht deren theoretische Grundlage. Diese kann naturgegeben nicht am Ende sein: eine Theorie bleibt eine Theorie, die zur Beurteilung praktischer Politik dient; sie ist nicht selbst Gegenstand Politik.

Georg Bush jun. hat sich mit dem 11. September 2001 den Ideen der Neocons zugewandt. Noch im Januar 2001 kritisierten ihn namhafte Vertreter der Neocons dafür, dass er eben stärker auf seine dem (Neo-) Realismus verhaftete Sicherheitsberaterin Rice und dem ebenso denkenden Außenminister Powell zugewandt war. Zwar hatten mit James Wolfowitz, Richard Perle und Richard Armitage die herausragensten Vertreter hohe Regierungsposition in der Bush-Administration übernommen, wurden jedoch noch von Powell und insbesondere Rice überlagert. Dies änderte sich schlagartig mit dem 11. September: zunächst nur unterschwellig und 2002/2003 auch nach für jeden sichtbar ging Bush auf eine Interventionspolitik über, die Vorgab, amerikanische Werte zu transportieren.


Welche Werte waren dies?

Die Durchsetzung von Demokratie, Menschenrechten, Freiheit. Die im Project for a new american Century zusammengeschlossenen Akademiker machen bereits in diesem Namen jedoch deutlich, dass sie diese durchaus ehrenwerten Motive im Sinne der Werte in den USA verstehen und hier liegt die eigentliche Crux. Damit ging es nicht ausschließlich um die Durchsetzung von Macht, die von Washington gesteuert wird und nicht nur um Interessen der U.S.-Wirtschaft. Es ging vielmehr um Ideale, die seit der Staatsgründung der USA fest in der dortigen Gedankenwelt eingegraben sind.
Zwar sind die Werte, die durch die Neocons vertreten werden, universell. Kofi Anan sagte nicht umsonst, dass Demokratie und Menschenrechte keine Erfindung der westlichen Welt sind. Aber sie werden in den Kulturen dieser Welt unterschiedlich verstanden und haben auch unterschiedliche Voraussetzungen. In einem Vielvölkerstaat wie Nigeria wurde die Freiheit der Parteienbildung aus wohlverstandenem Staatsinteresse unter anderem dadurch erschwert, dass keine ethnischen Parteien gegründet werden dürfen. Und ebenso wie Europa und die USA Jahrzehnte bis Jahrhunderte gebraucht haben, um diese Werte zu entwickeln und umzusetzen, müssen auch anderen Gesellschaften diese Möglichkeiten gegeben werden.
Verschärft wird diese Fehlleitung einer an sich guten Idee durch den Willen, diese Ziele auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Francis Fukuyama, einer der früheren Chefdenker der Neocons, hat dies in seiner "Bibel" The End of history letzlich auf den Punkt gebracht, in dem er zur Durchsetzung der Ideale der Neocons den präventiven Krieg, unilaterale Militäraktionen und einen (wohlwollenden) amerikanischen Hegemon befürwortete. Obwohl die Europäer dies nie wahrhaben wollten, haben sie die erste Forderung in der neuen Nato-Doktrin von 1999 festgeschrieben. Die Kritik an den USA, die aus den Reihen der SPD und Grünen in Deutschland an dieser Politik kommt, ist daher unlauter - sie selbst haben sie als Regierungspolitik implementiert. Und, das Kosovo wie der Irak haben dies gezeigt, sie ist auch berechtigt ... wenn man eine Bedrohung glaubhaft untermauern kann.
Die zweite und dritte Forderung ist dagegen umstritten und hängen eng miteinander zusammen. Die Neocons fallen hier in eine Welt zurück, die bereits während des Kalten Krieges nicht mehr existierte und eher das Konzert der europäischen Mächte um Macht und Einflusssphären widerspiegelt, welchen von den USA seit ihrer Gründung gründlich verachtet wurde. Dabei machen sie die values, die diese Hegemonie tragen soll, im Namen ihres gemeinsamen Think Tanks deutlich: Project for a new american Century. Damit verbunden ist ein fundamentaler Wandel von dem, woran Amerika geglaubt hat, nämlich die Gleichberechtigung der Kulturen und die Entwicklungsberechtigung. Gelten sollen damit lediglich american values, die auf deren Traditionen und Entwicklungen beruhen. Fatal ist daran zusätzlich, dass die Neocons ein enges Bündnis mit der konservativ-religiösen Rechten eingegangen ist, so für der Gedanke an die christlichen Kreuzzüge mit neuen Mitteln nicht von der Hand zu weisen ist.

Die Neocons vergessen jedoch: Rom ist untergegangen und es gibt keine Berechtigung mehr, die römische Herrschaftstradition neu aufleben zu lassen. Eine zielgerichtete Bündnispolitik, wie sie in der Nato oder der Asean besteht, sind trotz der Dominanz der USA neue Formen der Zusammenarbeit, sie beruhen jedoch auf der Gleichheit der Partner. Rom ist für keinen mehr akzeptabel und trotz der militärischen Omnipräsenz sind die USA im Gegensatz zu Rom weder politisch noch ökonomisch in der Lage, ihren Willen anderen aufzuzwingen. Ausnahmen bestimmen hier die Regel.


Und was verfolgte Bush eigentlich mit seiner Neuorientierung?

Bush jun. ist bis heute ein außenpolitischer Novize, der wie selten ein Staats- und Regierungschef auf Beratung angewiesen ist. 9-11 war für die USA eine Ausnahmesituation und für ihren Präsidenten noch mehr. Er brauchte schnelle Handlungserfolge, die ihm der auf Intervention getrimmte Militärapparat bot und die von den Neocons eingefordert wurden. In Afghanistan fiel diese Verbindung lediglich nicht auf, dass sie in eine internationale Allianz eingebettet war. Es gab an der Militärintervention keine Kritik, selbst die Deutschen und Franzosen unterstützen die Intervention tatkräftig mit Militär und Geld.


Und nun das Ende der Neocons?

Als Spiegel-Autor Marc Pitzke vor wenigen Tagen sein Essay „Das Ende der Neocons“ veröffentlicht hat, meinte er damit vor allem die Neocons, die eine Theorie in Reinkultur auf die Welt übertragen wollten. Wolfowitz, Perle, Armitag, Bennett sind Geschichte. Kristol auf den akademischen Lehrstuhl verband und John Bolton verhundert am langen Arm einer Außenministerin Rice kreidefressend, die von ihrem Mann in New York unabänderlichen Gehorsam verlangt. Zwar sind sie wie Wolfowitz, der zwischenzeitlich Weltbank-Präsident wurde, teilweise noch in durchaus einflussreichen Ämtern. Gleichzeitig jedoch so eingekreist, dass ihr Aktionsspielraum gegen Null gesunken ist. In Washington D.C. ist man deshalb auch mehr als überrascht, dass der Weltbankpräsident seine alten Forderungen nach einer Unterordnung aller hilfsbedürftigen Staaten nicht mehr zur Geltung bringt und ebenso wie Bolton in New York ruhig geworden ist. Condollezza Rice hat sich das Ohr des Präsidenten zurückerobert und erklärt nun wieder die Welt aus ihrer Sicht.

Gescheitert ist mit dem Ausscheiden der Neocons aus den Sesseln der Macht weniger ihre Theorie als vielmehr ihre praktische Politik. Man könnte an dieser Stelle darüber streiten, ob Akademiker wirklich die richtigen Politiker sind und mit Albright und Rice zeigt sich auch, dass dieses Experiment nicht schiefgehen muss. Beide Außenministerinnen haben jedoch auch eine Sicht der Welt die davon ausgeht, dass die USA zwar stark, über nicht übermässig stark sind. Und sie können akzeptieren, dass gerade die Ideale der Gründungsgeschichte der USA dazu beigetragen haben, dass der Einfluss ausländischer Staaten in den inneren Angelegenheiten eines Landes begrenzt ist. Zwar hat das Völkerrecht sich seit 1990 grundlegend geändert und die Achtung von Demokratie, Menschen- und Bürgerrechten nicht mehr zum geschützten Bereich staatlicher Souveränität gemacht. Aber die Staaten sitzen nicht übereinander zu Gericht.
Die Neocons sind jedoch auch noch an etwas anderem gescheitert: sie haben zwar die Unterstützung der konservativen Rechten gesucht. Dies war jedoch nur ein Zweckbündnis, welches im Senate nie wirklich Fuß fassen hat können. Bush jun. konnte die Neocons damit aus seiner außenpolitischen Agenda streichen, ohne einen Aufruhr fürchten zu müssen. Eher noch Zustimmung, da die Neocons ähnlich suspekt waren wie Lafontains Heiner Flaßbarth als Finanzstaatssekretär in Bonn.


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