Wednesday, November 29, 2006

Deutsche Milieus und die Parteien


Die Welt fragte sich nach dem Ende des Parteitages der CDU in Dresden, warum diese Partei in einer Krise stecke und gab auch gleich selbst die Antwort:

Sie hat ihr altes Milieu verloren - und ein neues noch nicht gefunden.

Nun gilt es die Frage zu stellen, ob es diese Milieus in der bisherigen Form noch gibt. Die Welt war mal einfach: die CDU hatte ihre Anhängerschaft vorwiegend in der katholischen Landbevölkerung, die SPD in den Arbeiterrevieren und die FDP in den noblen Villenvororten. Dieses vereinfachende Schema ist ein Erklärungsmuster dafür, das Nordrhein-Westfalen mit seinem Industriegürtel fest in der Hand der SPD und das ländlich geprägte katholische Bayern im Griff der CSU ist. Das vereinfachende Erklärungsmuster stammt jedoch auch aus einer Zeit, als die Welt noch leicht erklärbar war: Deutschland war keine Migrantengesellschaft, Deutschland war nicht Teil einer globalisierten Weltgesellschaft, Deutschland war kein Mobilitätsland. Damals machte der Sohn (regelmässig) noch das, womit der Vater bereits seine Brötchen verdient hatte und das Parteibuch zumindest virtuell bereits in die Wiege gelegt wurde.

Nun kann darüber gestritten werden, ob diese Zeit gut oder schlecht war. Es kann auch darüber gestritten werden, ob diese Zeit nicht besser zurückholbar sein sollte. Es kann jedoch nicht mehr darüber gestritten werden, dass diese Zeit vorbei ist. Einher gehen jedoch auch damit die Auflösung von Milieus, auf die die Parteien durchaus bereits reagiert haben.
Zunächst fällt auf, dass die Welt bunter geworden ist. War früher ein Afrikaner oder ein Asiate eine Rarität in deutschen Landen sind sie heute fester Bestandteil der (Stadt-) Gesellschaft und in nahezu allen Berufszweigen anzutreffen. Bereits die Frage "Woher kommst Du?" ist ansich nicht mehr statthaft, weil viele einfach sagen müsste: aus München, aus Hamburg, aus Berlin oder aus Wolfratshausen. Sie sind hier geboren, aufgewachsen, sozialisiert. Sie sind "Deutsche", womit immer dieser Begriff auch immer gefüllt werden soll.
Damit, und an dieser Stelle ist Der Welt recht zu geben, haben sich auch die Milieus aufgelöst. Dies hat aber auch eine gravierende weitere Ursache des gesellschaftlichen und ökonomischen Wandels. Weder ist Bayern noch agrarisch geprägt noch das Ruhrgebiet ein industrieller Gürtel, in dem vor allem "Blaukragen" anzutreffen sind. Gerade das Ruhrgebiet hat einen tiefgreifenden Wandel durchgeführt, bei dem die Kohlezechen und Stahlkochereien noch nicht ganz verschwunden sind, aber ihre überragende Bedeutung verloren haben. Das Ruhrgebiet hat sich zu einem High Tech- und Dienstleistungsstandort entwickelt. Und obwohl Bayern wohl immer noch eines der traditionellsten deutschen Bundesländer ist, hat sich unter der Decke des Wahlerfolgs der CSU sind jedoch gewaltige Verschiebungen der Wählerstrukturen zu beobachten. Die CSU hat zuletzt mit der Anpassung ihrer Familienpolitik darauf reagiert und sich den eher großstädtisch geprägten Milieus geöffnet. Dabei ist jedoch maßgeblich, dass eben nicht mehr der Sohn in den Beruf des Vaters folgt, sondern seinen eigenen Weg geht. Damit verbunden ist eine eigene Identität, die sich auch im Wählerverhalten ausdrückt.

Die Auflösung dieser klassischen Milieus war zunächst in den ostdeutschen Bundesländern beobachtbar. Mit dem Ende der DDR und der Etablierung des vereinigten Deutschland haben sich die alten Milieus, die noch von der Stellen der SED geprägt waren und in der die Mitgliedschaft in einer Blockpartei und vor allem den Kirchen bereits eine Oppositionshaltung nahelegte, hatten sich aufgelöst und neue konnten sich durch den historisch einmaligen ökonomischen Umbruch nicht wirklich entwickeln. Die ostdeutsche Gesellschaft war in Bewegung geraten und ist eigentlich bis heute nicht zur Ruhe gekommen. Mit Ausnahme von Sachsen waren daher Regierungswechsel oder - wie in Thüringen und Brandenburg - Wechsel in den Regierungskonstellationen an der Tagesordnung. Der Wahlkampf in battle grounds - wie er in den USA als fight on the battle states noch heute bekannt ist - war nicht zielführend, da die gesamte Wählerschaft ein battle field ist.
Die westdeutschen Bundesländer haben diese Entwicklung nachvollzogen: der Sieg Ole von Beust´s in Hamburg, der Übernahme der Macht durch Union und FDP in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen und der Machtverlust der SPD im Saarland sind eine Folge dessen. Der Wähler wird experimentierfreudiger und löst sich von seinen bisherigen Parteien. Die Parteien haben darauf bereits reagiert, in dem sie ihre Wahlprogramme von ideologischem Balast befreit haben und aufeinander zugegangen sind.

Es ist daher eher unwahrscheinlich, dass die Union ein neues Milieu finden wird. Vielmehr wird sie von Wahl zu Wahl ein attraktives Programm anbieten müssen.


Milieuforschung an der Universität Rostock

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