Wednesday, August 13, 2008

Der Kaukasus


Im Südkaukasus ist genau das passiert, was nur noch eine Frage der Zeit war. Der georgische Präsident Michail Saakaschwili, von den USA wegen seinem russlandkritischen Kurs geschätzt, hat versucht, die abtrünnige Teilrepublik Südossetien (80.000 Einwohner) wieder unter georgische Herrschaft zu bringen. Saakaschwili hat hoch gepokert, die Reaktion Russlands, das nur darauf gewartet hat, Tiflis eine Lektion zu erteilen, provoziert, und Südossetien, aber auch Georgien selbst, in eine humanitäre und politische Katastrophe gestürzt.
Das sind die reinen Tatsachen, die derzeit in Georgien eine zentrale Rolle spielen. Zum zweiten Mal in diesem Jahr stellt sich jedoch die Grundsatze, wann und unter welchen Bedingungen sich ein Volk von seinem bisherigen "Mutterland" lossagen kann. Der Kosovo wurde als Einzelfall - durch den Westen - und als rechtswidriges Völkerrechtsgebilde - durch Russland und China - bezeichnet. Für beide Seiten ist es bis heute eine Frage des Selbstverständnisses, den Kosovo - und den Balkan insgesamt - sich nicht wied
erholen zu lassen. Zwar haben sich in den westlichen Staaten bislang nicht die Sezessionsprobleme wie in anderen Teilen der Welt gezeigt. Aber allein Spanien hat mit dem Baskenland und Katalanien zwei Regionen, die nach Unabhängigkeit streben - und deshalb hat das Königreich im Südwesten Europas den Kosovo bis dato nicht anerkannt.

Es lohnt sich ein Blick in die Geschichte, genauer das Jahr 1919. Auf der Pariser Friedenskonferenz war Wodrow Wilson mit dem Grundsatz der Selbstbestimmung der Völker angetreten. Damals richtete sich der Selbstbestimmungswille vor allem gegen die KuK-Monarchie in Wien. Zahlreiche neue Staaten entstanden ist Europas Osten, viele nicht lebensfähig und viele zudem mit soviel ethnischen Problemen behaftet, dass sie selbst bald in Diktaturen abglitten.
Die Sowjetunion konnte sich dem entziehen, sie war an der Pariser Konferenz nicht beteiligt und konsolidierte schließlich die Macht im alten Zarenreich mit russischer Dominanz. Mit Ausnahme von Josef Stalin waren alle Parteichefs Russen und selbst die autonomen Republiken im Riesenreich besaßen die Autonomie nur pro forma. Die Macht hatte die Partei und die Partei hatte immer Recht.

Erst mit dem Zerfall wurde aber auch in Russland und seinen Nachfolgestaaten des Problem virulent. Berg Karabach war Anfang der 1990er Jahre der erste Fall, in dem sich Ethnien in blutigen Kämpfen zeigte, wie der Kampf um die Macht enden kann. Tschetschenien reichte bis Moskau und die Tibeter in China sind bis heute das Lieblingssezessionsprojekt des Westens. Alle diese Völker haben nunmehr einen Präzendenzfall in der Neuzeit und können sich in erstaunlicher Einsicht des Westens wie des Ostens nicht darauf berufen. Begründet wird dies damit, dass ein Staat ein Recht auf Sezessionsverhinderung habe und gleichzeitig diese nur dann zulässig sei, wenn der "Hoststate" quasi die innere Autonomie seiner Ethnien nicht garantiert.
Nicht nur auf den ersten Blick scheint diese Begründung doch etwas weit hergeholt zu sein. Denn auch hier ergibt sich bereits die erste definitorische Frage, wann ein Staat die "innere Autonomität" nicht mehr garantiert. Während beispielsweise die dänische oder sorbische Minderheit in Deutschland keinen eigenen Staat fordern, ist dies bei den Basken ausgeprägt und bei den Katalanen eher unterschwellig trotz weitgehend gleicher Autonomierrechte anders. Einen objektiven Maßstab scheint es also selbst bei den Völkern selbst nicht zu geben.
Dies zeigt auch ein Blick in die jüngere Verg
angenheit: Slowenien wie Kroatien hatten sich 1991 von Jugoslawien losgesagt und in der Folge auch Bosnien-Herzegowina und Mazedonien. Sie waren freiwillig Teil des gemeinsamen Staates Jugoslawien und obwohl es zwischen den Ethnien Spannungen gegeben hatte, war nicht von Anbeginn klar, dass diese nicht in friedlicher Weise lösbar gewesen wären. Dennoch hat der Westen ohne zu zögern die früheren Teilrepubliken als souveräne Staaten anerkannt und mit ihnen als äußeres Zeichen dieses Anerkenntnisses diplomatische Beziehungen aufgenommen. Auch Montenegro löste sich 2006 vom Rest-Jugoslawien und auch hier erkannte die EU zuerst und später weitere Staaten dessen Unabhängigkeit rasch an.
Anders in Russland: die Moskauer Macht führte zwei brutale Kriege gegen Tschetschenien. Die Hauptstadt Grosny war zerstört, weite Teile der Bevölkerung auf der Flucht und eine Marionettenregierung in der russischen Teilrepublik übernahm die Regierungsgeschäfte. Das auch die Tschetschenen nicht zimperlich umgingen mag hier eine strafrechtliche Relevanz besitzen. Die Frage der Souveränität des Staates der Tschetschenen berührt dies jedoch nicht. Jedoch scheint die Tatsache, dass Russland ein wichtiger Partner des Westens ist, sehr wohl eine Rolle zu spielen.

Das Fazit, was sich bereits aus diesen wenigen Beispielen ziehen lässt: die Souveränität eines Volkes, auch wenn sie mit überwältigender Mehrheit gefordert wird, endet genau dort, wo die Interessen der großen Mächte beginnen. Zwar wird in der UN-Charta das Selbstbestimmungsrecht der Völker anerkannt. Das daraus auch eine echte Selbstbestimmung der Völker wird, ist jedoch so nicht garantiert.
Die Befüchtungen, die Russland, China und Spanien im Februar 2008 in Bezug auf die Unabhängigkeit des Kosovo hatten, sind daher durchaus berechtigt. Denn das Kosovo ist weder ein Präzedenz- noch ein Paradebeispiel, sondern vielmehr ein historisches Zufallsprodukt. Wäre er einerseits nicht nur eine autonome Region der Republik Serbien, sondern eine sieben Teilrepubliken Jugoslawiens gewesen, hätte es seine Unabhängigkeit schon wesentlich früher erlangt. Wäre es andererseits eine autonome Republik der Russischen Föderation gewesen, würde heute noch niemand die Souveränität fordern. Ähnliches gilt für Tschetschenien, welches aus reiner Willkür keine Sozialistische Sowjetrepublik des Sowjetreiches - als mit Georgien und Russland den selben Status hatte - wurde, sondern als Teil der Russischen Sozialistischen Sowjetrepublik konstituiert wurde. Was auf Tschetschenien zutrifft, gehört genauso zur Wahrheit für Süd-Ossetien und Abchasien und andere Regionen.
Souveränität wird damit zur Zeitgeistfrage, zur Frage historisch eher willkürlich getroffener Entscheidungen, früherer Gebietserweitertungen (gewaltsam oder nicht ist dabei gar nicht mehr die Frage) ...
Anders ausgedrückt: Entweder ein Volk hat eine mächte Lobby gegen seinen Hoststaat - wie Tibet - oder der Hoststaat befindet sich eher in einer Schwächephase wie Jugoslwien. Nur dann stehen die Aussichten für eine Sezession hervorragend. Alle anderen Versuche sind eher aussichtslos.

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