Friday, October 12, 2007

Türkei und der armenische Genozid


Wenn ein Land seinen Botschafter demonstrativ zu Konsultationen zurückruft, ist immer ein wenig Ärger in den Beziehungen zwischen dem Gast- und dem Entsendeland des Botschafters. Die Zurückrufung des türkischen Emissärs in Washington D.C. war dabei absehbar, seitdem im House der Genozid an den Armeniern im ausgehenden Osmanischen Reich diskutiert wurde. Bereits Frankreich musste mit dem temporären Abzug von Ankaras Vertreter vorlieb nehmen, als es 2006 das Thema kritisch angesprochen hatte.

Dabei wird das Thema bereits seit mehreren Jahren intensiv diskutiert, auch im Bundestag. Warum geht es der Türkei, die die Tatsache der Vertreibung der Armenier und den Tod Hunderttausender nicht leugnet. Der Türkei geht es vor allem um den Charakter der Vertreibung. Danach sei es eine Notmaßnahme zur Erhaltung eines Staatswesens - des Osmanischen Reiches - gewesen, welches durch die Armenier bedroht gewesen sei. Die Vertreibung nach Deir az Zur im heutigen Syrien war nach türkischer Sicht durch Überfälle, Hunger und Seuchen begleitet, die die Armenier hingerafft habe.

Obwohl die Tatsachen der Vertreibung zwischenzeitlich durch zahlreiche wissenschaftlichen Untersuchungen belegt ist, könnte man theoretisch auch die türkische Sichtweise akzeptieren. Aber auch dies würde es notwendig machen, dass sich die Türkei ihrer historischen Verantwortung als Nachfolgerin des Osmanischen Reiches stellt und ein Wort des Bedauerns findet. Dies ist die eigentliche Forderung, die die Staaten dieser Welt an die Türkei haben und weniger die Entschädigung für das hunderttausendfache Unrecht.

Es würde der Türkei gleich aus mehreren Gründen gut stehen, sich mit den damaligen Vorkommnissen kritisch auseinander zu setzen.
Mit dem Anspruch als regionale Führungsmacht ist sie gezwungen, auch mit dem nordöstlichen Nachbarn Armenien ein auskömmliches Nebeneinander zu erreichen. Bisher hat die Türkei sich an dem Versuch erfolgreich beteiligt, Armenien zu isolieren und damit direkt Aserbaidschan und Georgien in die Hände gespielt. Riskiert hat sie jedoch - erfolgreich - wesentlich mehr: die Regierung in Jerewan hat sich nicht nach Westen, sondern gen Moskau orientiert. In direkter NATO-Nachbarschaft hat sich so ein russisches Regime herangezüchtet, welches dem Westen zunehmend aggresiver und im inneren autokratischer gegenübersteht. Als regionale Führungsmacht mit dem Anspruch des Ausgleichs zwischen den verfeindeten Kaukasus-Republiken hätte die Türkei hier einen Ausgleich erreichen können und Jerewan´s Interesse an einer Westorientierung so stärken können.
Die Türkei würde mit einer Anerkennung des Genozids an den Armeniern auch ihren Anspruch als europäische Nation stärken. Das Europäische Parlament hat - neben anderen Voraussetzungen - die Klärung der türkischen Position zum Genozid als klare Voraussetzung für einen türkischen Beitritt gemacht. Hier steht der Anspruch, dass historische Konflikte durch eine europäische Nation zu klären sind und die Gegenwart die Verantwortung für die Vergangenheit übernimmt.

Verwunderlich an der U.S.-amerikanischen Politik ist, dass die Regierung unter Präsident Bush jun. sich quasi der türkischen Position anschließt und vor einer Stellungnahme weitere Untersuchungen verlangt. Die USA sind eine der wenigen Nationen dieser Welt, die die Macht haben, auf die Türkei einzuwirken. Zwar wurde der Botschafter nach Ankara zurückgerufen. Das dies jedoch nicht von langer Dauer ist und die Beziehungen beider Seiten nicht wirklich beeinflussen wird, liegt im zentralen türkischen Interesse. Das House hat hier Weitsicht bewiesen, die dem Präsidenten in dieser Frage fehlt.

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