Thursday, October 26, 2006

Was bedeutet heute sozial-liberal?


Das ein Vorsitzender einer Partei sich zur Programmatik einer anderen Partei äußert, ist eher selten. Wenn dies Kurt Beck tut, fällt dies auf. Wen er dies zur FDP tut, löst dies Spekulationen aus. Beck ist nicht irgendwer, sonder er war Ministerpräsident einer Koalition, die über vierzehn Jahre mit dem Etikett sozial-liberal verkauft wurde. Sie ist auch nicht gescheitert, weil sich die Partner nicht mehr verstanden, sondern weil einer - SPD - die Mehrheit der Mandate im Mainzer Landtag errungen hatte und daher auf einen Koalitionspartner nicht mehr angewiesen war.

Auf Bundesebene ist dies anders. Als SPD-Vorsitzender muss Beck nach einer Alternative zur Großen Koalition suchen, die nur auf Zeit angelegt sein kann. Der Beitrag zum 35jährigen Jubiläum der Freiburger Thesen ist daher nicht ganz so zufällig. Die Freiburger Thesen sind dabei nicht irgendein Papier der ehemals liberalen Partei, sondern das Gründungsdokument einer modernen Politik. Wichtiger noch als die Wiesbadener Grundsätze. Sie haben erstmals die Idee einer Umweltpolitik - weit bevor die Grünen überhaupt am Horizont der politischen Landschaft erschienen - formuliert. Sie haben ein Gesellschaftsbild gezeichnet, welches heute unter den Stichwörtern Zivilgesellschaft und eigenverantwortlicher Bürger weiterentwickelt wurde. Und sie waren der Übergang von einer FDP, die geprägt war durch zahlreiche national (bis nationalistisch) orientierter Kader zu einer Partei des liberalen Bürgertums.
Daneben besassen die Freiburger Thesen auch den Charakter der strategischen Neuausrichtung. Die national-konservativen Kreise der FDP, die in der Nachkriegszeit die Partei dominierten waren abgetreten und anstatt dessen die "jungen Wilden" um Scheel, Maihofer, Flach und Genscher in Führungspositionen gelangt. Sie lösten sich von der Union und Beck schreibt zurecht:
Mancher konservative Kommentator argwöhnte seinerzeit, mit der Propagierung des sozialen Liberalismus habe sich die FDP der SPD in die Arme geworfen.
Den diese neue Führung packte gesellschaftspolitische Themen an: Familie, Zusammenleben, der Blick gen Osten, Bürgergesellschaft. Ohne die FDP wäre die Ostpolitik Brandts nicht möglich gewesen. Und - Ironie der Geschichte - ohne die liberalen Bürgerrechts- und Umweltthesen wären die Grünen heute keine Partei. In der FDP spielen die Freiburger Thesen heute faktisch keine Rolle mehr, denn
Das Freiburger Programm liest sich über weite Strecken wie eine hochaktuelle Kritik am Neoliberalismus und seinem verengten Freiheitsverständnis. Dem Staat kommt in diesem Programm eine gestaltende Rolle zu. Die Begrenztheit marktwirtschaftlicher Steuerungsmechanismen wird ebenso klar gesehen wie die Notwendigkeit staatlicher Interventionen und der Sozialbindung des Eigentums. Die ausführlich behandelten Fragen der Mitbestimmung und der Kapitalbeteiligung wie auch die Frage nach einem Staatsverständnis, das die Freiheit der Menschen genauso ernst nimmt wie ihr Bedürfnis nach sozialer Sicherheit, werden dagegen heute außerhalb der FDP diskutiert.
(Kurt Beck, Die Zeit 26.10.2006)
Guido Westerwelle hat die Partei verengt auf eine reine Wirtschaftspolitik. Außenpolitik spielt keine Rolle mehr und wird auch von Niemand mehr wirklich inhaltlich und strategisch repräsentiert; Werner Hoyer ist hier ein einsamer Rufer im Wald. Bürgerrechtspolitik und Umweltpolitik spielen keine strategische Rolle mehr. da helfen auch die letzten Parteitagsbeschlüsse wenig, da es an der Umsetzung fehlt. Die FDP propagiert einen Wirtschaftsliberalismus, der nur noch auf den Profit und nicht mehr auf den verantwortlichen Unternehmer setzt. Und die Partei setzt darauf, so rasch als möglich in die Regierung zurück zu gelangen, koste es was es wolle. Die strategisch-politische Ausrichtung fehlt.
Zwar werden Protagonisten der Partei auf den Herbst 2005 verweisen. Eine Ampel-Koalition war jedoch nicht aus inhaltlichen Gründen ausgeschlossen, sondern aus Marketingüberlegungen. Ein neoliberales Programm wäre nicht durchsetzbar gewesen und mittelfristig hätte die Partei mehr verloren als gewonnen. In vier Jahren (oder früher) könnte die Lage besser aussehen, so die Sichtweise im Thomas-Dehler-Haus.

Und warum Beck?
Deutlicher kann ein Parteichef nicht um eine Braut werben.
(Spiegel online 25.10.2006)
Die FDP ist eine eigentlich handzahme Partei geworden. Mit einem strategischen Konzept und der programmatischen Breite ging ihr auch der Biss verloren und der Show-Anteil überwiegt in der Außendarstellung. Die Programmatik der Grünen mag einen stören, sie haben jedoch die Debattenkultur nicht verlernt und Parteitage der Grünen sind immer noch nahezu unberechenbar. Sie fordern von ihren Koalitionspartner, zuletzt in München, Zugeständnisse zu machen oder sich einen neuen Partner suchen zu müssen. Und die PDS kommt aus ideologischen und persönlichen Gründen nicht in Frage.
Beck ist auf Brautschau und die Mitgift für die FDP ist derzeit die geringste. Erst wenn die FDP wieder auf Augenhöhe mit den Grünen steht, würde Beck die FDP nicht mehr so billig haben können.

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