Monday, December 11, 2006

Pinochet und die Diktaturen Lateinamerikas


Augusto Pinochet ist tot und damit einer der lateinamerikanischen Diktatoren, die wie kein zweiter die Aufmerksamkeit der Welt sowohl in seiner Diktatoren-Amtszeit wie auch danach auf sich gezogen hat. Zumindest die Aufmerksamkeit der westlichen und sozialistischen Welt. Aber was war so besonders an Pinochet, war Lateinamerika zu seiner Zeit doch von einer Unzahl von Diktatoren regiert worden: Brasilien, Paraquay, Argentinien, Peru ...
Aber in Chile haben sich die Geister der Welt geschieden: der Kampf Sozialismus gegen den Westen, Links gegen Rechts. Im Gegensatz zu Brasilien oder Argentinien war 1973 in Chile eine sozialistische Regierung unter Salvador Allende in die Regierung auf demokratischem Wege gewählt wurden. Sie fand, fast schon natürlicherweise, die Unterstützung der sozialistischen Welt. Und obwohl Allende im Gegensatz zu Fidel Castro keinen gesellschaftlichen Umsturz plante und Pinochet höchstselbst zum Obersten Militär ernannte, war er den Militärs ein Dorn im Auge. Und auch den USA, die ein zweites Cuba in ihrem "Hinterhof" fürchteten und deshalb die reaktionären Militärs um Pinochet unterstützten. Die Rolle des damaligen U.S.-Außenministers Henry Kissinger ist bis heute nicht ganz geklärt.
Es war das Zusammentreffen von USA und Sowjetunion, welches nur an wenigen Orten der Welt so spürbar war und welche die Diktatur Pinochets in das Licht der Weltöffentlichkeit rückte. Die chilenische Opposition besaß in der sozialistischen Welt eine breite Unterstützung und viele tausend Chilenen, die vor Pinochets Junta flüchteten, fanden in der DDR Unterschlupf. Zwar nahm auch die Bundesrepublik zahlreiche Chilenen auf, die publizistische Präsenz war jedoch weit weniger gross als in der DDR. Sit in´s waren ein Instrument der Linken, egal ob gegen Atomwaffen oder gegen die chilenische Diktatur. Und im Gegensatz zu Oppositionellen aus Brasilien, Paraquay, Argentinien oder den anderen lateinamerikanischen Diktaturen erhielten die Chilenen eine breite Unterstützung an finanziellen Mitteln.

Und es war das Ende der chilenischen Diktatur, die die Aufmerksamkeit der Welt erregte. Argentinien kehrte 1983 zur Demokratie zurück, Brasilien und Uruguay 1985. In Paraguay stürzt 1989 das Militär den Diktator Alfredo Stroessner und erst 1993 finden freie Wahlen statt, bei der die Partido Colorado die Macht verliert.
Chile war auch hier anders. Pinochet ließ in einer von außen aufgezwungenen Abstimmung das Volk über seine "zivile" Präsidentschaft abstimmen, verlor - und trat ab. Während in anderen Ländern der Schnitt radikal vollzogen wurde, machte auch hier Chile aus dem Übergang ein akademisches Lehrbeispiel aus dem Übergang. Pinochet blieb bis 1998 Heereschef und schränkte die Handlungsmöglichkeit jedes Präsidenten nach ihm erheblich ein. Nur dadurch konnten sich im Militär weiterhin erzreaktionäre Kräfte halten, die über Pinochet ihre schützende Hand hielten.

Und es war 1999 wieder Pinochet, der Rechtsgeschichte schrieb. Auf Ersuchen eines spanischen Untersuchungsrichters wurde der Ex-Diktator in London festgenommen und ein Auslieferungsverfahren eingeleitet. Bis dahin ein einmaliger Vorgang, der jedoch vielen Diktatoren zeigte, dass sie auf keinem Fleck der Erde mehr imhun gegen eine Strafverfolgung sind.
Erst dadurch wurden in Chile selbst die Kräfte freigesetzt, die auch hier eine Verfolgung der Exzese der Militärdiktatur und Pinochets persönliche Verantwortung aufarbeiten sollte. Ein quälender Prozess begann in Pinochet´s Heimatland, ein stetiger Kampf zwischen Zivilgesellschaft und Militär um den Kopf Pinochets selbst wie auch um die gesamte Geschichtsschreibung der Diktatur. Stetig gewann die Zivilgesellschaft mehr an Boden, die Immunität Pinochets und damit der sorgsame Versuch der lebenslangen Senatsmitgliedschaft waren gescheitert.

Für Deutschland besitzt Chile noch eine andere Bedeutung. Wie in den anderen südlichen Staaten Lateinamerikas waren auch in Chile zahlreiche Führungskader des NS-Regimes und der späteren Neo-Rechten untergekommen. Aber nur in Chile gelangten sie in eine so staatstragende Rolle der Diktatur. Die Colonia Dignidad wurde berüchtigt als Folterstube des Regimes. Die Verbrechen dort hatten nichts mit Deutschland zu tun, aber sie fielen in gewisser Weise auf Deutschland zurück: es waren deutsche Auswanderer und hier zeigte sich, dass man seine Nationalität ein Leben lang behält. Und Deutschland hat sich auch an der Aufarbeitung der Geschichte der Colonia Dignidad beteiligt.
Aber die Kolonie zeigt eine durchaus noch vorhandene Affinität zu Deutschland mit zahlreichen deutschen Siedlungen, den Zeitungen und anderen deutschsprachigen Einrichtungen. Die Verbundenheit, gestärkt durch den Aufenthalt zahlreicher Oppositioneller in beiden Teilen Deutschlands, wird erhalten bleiben und im Verhältnis der beiden Regierungschefinnen Bestand haben.


Pinochet ist tot und sein Tod, so tragisch im Einzelfall für die Familie immer ist, wird Chile wohl mittelfristig beruhigen. Es war richtig, ihn vor Gericht zu stellen und es war richtig, ihn nicht abzuurteilen. Der Rechtsstaat hat gezeigt, dass er auch in Chile arbeitsfähig ist: Einerseits hat er sich der Aufarbeitung der Diktatur angenommen und wird seine Fortsetzung finden. Es ist eine klare Warnung an alle, die während Pinochet Verantwortung getragen haben und auch nach einer näheren Betrachtung der Rolle des ehemaligen U.S.-Außenministers Henry Kissinger wird der Ruf immer lauter. Die Verschonung Pinochets hat aber auch gezeigt, dass die chilenische Justiz verstanden hat, die persönliche Situation des Angeklagten einzubeziehen und gerade aufgrund seiner schweren Erkrankungen eine Verurteilung dem Rechtsstaat schadet, der nur auf Rache aus ist.
Und genauso richtig ist es, dass Präsidentin Michelle Bachelet dem "Tyrannen", wie Der Spiegel schreibt, ein Staatsbegräbnis verweigert. Pinochet war kein Demokrat und ist nicht gewählt. Er hat den Tod Tausender Oppositioneller oder diejenigen, die man dafür gehalten hat, zu verantworten. Die chilenische Gesellschaft hat die Diktatur, Folter, Mord und Vertreibung trotz ihrer boomenden Ökonomie nicht verkraftet und die Hauptverantwortung trägt dafür Pinochet. Die letzte Ehre als Heereschef ist nur ein Zugeständnis an die immer noch rechtskonservativen bis reaktionären Militärs, keine Ehrenbezeugung des Staates.
Aber trotz der Unruhen in Santiago de Chile wird der Tod Pinochets Chile einen Weg in die Zukunft weisen. Die Identifikationsfigur fehlt den Reaktionären nun und das er außerhalb des Gefängnisses gestorben ist verhindert auch jede Legendenbildung. Die Unruhen waren in vorher sehbar, sie werden jedoch auch vorübergehen. Chile jedoch wird bleiben und leben.


Literaturtipp:
Isabell Allende, "Das Geisterhaus"
Ruth Fuchs / Detlef Nolte: Vergangenheit in Chile, Argentinien und Uruguay, APuZ 42/2006

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