Wednesday, April 12, 2006

Der religiöse Staat

Der Spiegel veröffentlichte in seiner neuesten Ausgabe ein Interview mit der israelischen Außenministerin Zipi Livni. Auf den ersten Blick hat man den Eindruck, dass hier eine fortschrittlich denkende Frau mittleren Alters Israel im Ausland vertritt. Erst beim genaueren Hinsehen offenbart sich, dass hier eine Frau Israels Gesicht verkörpert, die relativ wenig von einem modernen Wertestaat hält und dagegen viel von Trennendem. Die Gründe für ein eine Zweitstaatenvariante mit Israel und Palästina sind für sie dabei klar: „Es gibt zwei Optionen: Entweder alle leben gleichberechtigt in einem Staat, der weder jüdisch noch palästinensisch sein könnte. Oder wir leben in zwei Staaten. Mein Ziel ist es, dem jüdischen Volk eine Heimat zu geben.“ Und an anderer Stelle: „Wer wir aber die jüdische Mehrheit erhalten ... wollen, ist die Aufgabe von Gebieten die einige Lösung.“ Gemeint sind die palästinensischen Gebiete.

Dies sind keine einmaligen (vielleicht unbedachten) Ausrutscher, sondern politische Grundlage. Hierzu ein Auszug aus einem Interview in der Washington Post vom 22. Januar 2006: „Ich muss eine Auswahl treffen, und meine Wahl fiel auf die Durchsetzung der Ideologie einer Heimstatt für das jüdische Volk, in der alle Minderheiten in Israel die gleichen Rechte haben, ...

Nun ist der Wandel, den Ariel Sharon in der Siedlungspolitik eingeleitet hat, durchaus begrüßenswert. Was aber nützt genau jener Wandel, wenn er so rein gar nix mit demokratischen Prinzipien zu tun hat, die den Staat nicht wertneutral, aber religionsneutral stellt. Genau jenes ist es, was von den westlichen Staaten in Richtung der arabischen Staaten - zu Recht - verlangt wird: Abschaffung der Scharia und gleichberechtigte Religionsausübung für alle, Meinungsfreiheit und Demokratie. Die israelische Außenministerin nimmt für sich jedoch ganz selbstverständlich in Anspruch, eine religiösen Staat basierend auf dem jüdischen Glauben formen zu dürfen. In diesem Staat haben Muslime - und wohl auch andere Religionen - dann jedoch bitte schön nichts verloren. Bei Frau Livni scheint offenbar noch nicht angekommen zu sein, dass die Zeit des religiösen Staates zwischenzeitlich vorbei sind.

Frau Livnis Bekenntnis zu fragwürdigen Werten ist jedoch damit nicht am Ende. Die Frage der Siedlungen beantwortet sie so: „Wir sind ja bereit, Siedlungen zu räumen.“ Alle Siedlungen werden jedoch nicht davon betroffen sein. Der Spiegel-Reporter fragt dann weiter „Wie wollen Sie es erreichen, dass die internationale Gemeinschaft eine Grenze akzeptiert, die von der bisher akzeptierten so stark abweicht?“ Die Antwort von Frau Livni lässt dann an Deutlichkeit nichts mehr zu wünschen übrig: „Die internationale Gemeinschaft soll wissen, dass Israel den Konflikt endgültig beenden will. Wenn es möglich ist, werden wir verhandeln. Wenn wir keinen Verhandlungspartner finden, wird Israel einseitige Schritte einleiten.

Übersetzt heißt das nichts anderes als das Motto Friss Vogel, oder stirb. Akzeptiert die internationale Gemeinschaft - und Palästina - die einseitig gezogenen Grenze, gibt es Verhandlungen. Wird jene völkerrechtswidrige Grenze nicht akzeptiert, wird es Israel auch nicht kümmern. Sie bleibt bestehen. Mit anderen Worten könnte man auch sagen, wir bleiben auf unserer Kriegsbeute sitzen.

Um hier nicht falsch verstanden zu werden: Israel hat ein Existenzrecht wie jeder andere Staat auch. An Israel sind jedoch auch die gleichen Maßstäbe anzusetzen wie an jeden anderen Staat auch. Diese heißen unter anderem Religionsfreiheit und die Achtung internationalen Rechts. Beides ist jedoch nach dem Verständnis von Frau Livni für Israel offenbar nicht relevant. Israel und Frau Livni müssen sich vergegenwärtigen, dass die Politik Israels der gezielten Mordanschläge, der Gebietsabriegelung und des Mauerbaus zum Wahlsieg der terroristischen Hamas beigetragen haben. Und dass dies keine Mittel sind, dessen sich ein moderner Staat bedienen kann.

Eine Ideologie, die auf Ausgrenzung beruht, ist daher fehl am Platze. Insofern gewinnt die Idee eine Israel-Palästina durchaus wieder an Charme: ein Land mit den Heiligen Stätten dreier Weltreligionen, die gleichberechtigt miteinander existieren und in dessen politischem System die Leistung, nicht die Religionszugehörigkeit eine Rolle spielt. Dies würde natürlich von allen ein gewisses Maß an Umdenken erfordern, nicht nur von Frau Livni.

2 comments:

msh said...

"Die israelische Außenministerin nimmt für sich jedoch ganz selbstverständlich in Anspruch, eine religiösen Staat basierend auf dem jüdischen Glauben formen zu dürfen."

Tut sie das? Nein. Livni geht es darum, dass Israel ein Staat mit jüdischer Bevölkerungsmehrheit bleibt. Das heißt nicht, dass ISrael seine sekularen Werte aufgibt und religiöse Minderheiten in der Ausübung ihres Glaubens behindert.

Die Juden verstehen sich nun mal nicht nur als Religionsgemeinschaft, sondern auch als Volk. Und als solches ist ihr Ziel die nationale Selbstbestimmung - die 1948 erreicht wurde. Dass der Staat Israel ein mehrheitlich jüdischer Staat bleiben muss (Länder mit christlicher oder muslimischer Mehrheit gibt's schließlich genug), ist common sense in Israel, und die Voraussetzung dafür, dass Israel der Staat bleibt, in dem Juden im Zweifel stets Zuflucht vor Verfolgung finden. Darum ist eine Abtrennung der palästinensischen Gebiete im Interesse Israels.

msh said...

Auch hier (Thema Livni und der jüdische Staat) keine Antwort. Vielleicht sollte man nur über Dinge schreiben, mit denen man sich auch auskennt? Dann muss man nachher nicht so peinlich berührt schweigen.